Das Abenteuer beginnt

Das Abenteuer beginnt

Aus der Reihe: Geschichten aus Indien

Vom 02. März bis 05. März

Willkommen in Neu Delhi! Gestern hatte ich noch versucht mich selbst herunterzufahren. Weshalb? Weil ich wusste, dass es mein letzter Tag in der Schweiz für eine Weile sein würde. Ok. Mein letzter Tag. Zugegeben, das klingt so, als ob ich nie wieder zurückkehren würde. Um einige von euch zu beruhigen und möglicherweise andere zu beunruhigen: ja, ich werde wieder in die Schweiz kommen. Ich weiss nur noch nicht wann, hehe.

Alles, was ich mitnehmen wollte, habe ich auf meinen gläsernen Salontisch und das Sofa in meinem Zimmer in Büron gelegt. Ich wollte nicht viel mitnehmen, sagte ich mir ständig. Also versuchte ich meine Packliste steht’s zu verkürzen. Die Schweiz ist nicht der einzige Ort auf der Welt, wo man Sachen kaufen kann, dachte ich mir. Auf jeden Fall mussten die „Lucky Pills“ mit, die ich von meiner guten Freundin Rebekka geschenkt bekommen habe 😉 Niemand war zu Hause. Daniel, mein Cousin war bei der Arbeit. Mein Vater und meine Mutter waren in dem Haus, in dem unsere Familie noch vor einigen Tagen gewohnt hatte. 10 Jahre lang haben wir darin gewohnt. Meine Eltern waren dabei es zu putzen und für die Abgabe bereit zu machen. Gestern war ich auch noch da um dabei zu helfen, doch heute wollte ich, wie gesagt herunterfahren und meine Sachen packen. Für den Nachmittag hatte ich noch einen Termin mit Michelle vereinbart um ihr mein Auto zu übergeben. Ja, meine geliebte Therese würde ich nicht mit nach Indien nehmen können. OK, gehen würde das wahrscheinlich schon, doch die Kosten dafür würden die Dauer meiner Reise wahrscheinlich auf 2 Wochen beschränken, hehe.

Nachdem ich etwas gegessen habe, mache ich mich auf den Weg nach Triengen. Dort trinken Michelle, ein anderer Daniel und ich einen Kaffee zusammen. Gott sei Dank bezahlt ihn Michelle für mich, denn ich habe keinen Rappen Schweizer Geld mehr bei mir, haha. Ich übergebe ihr Therese und wir verabschieden uns. Sie ist in guten Händen, denke ich mir. Per Zufall treffe ich noch zwei meiner Freunde, Saskia und Benno vor dem Restaurant und somit ergibt sich auch hier noch die Gelegenheit für einen Abschied. Dann laufe ich zu dem Haus, in dem meine Eltern momentan sind. Zwei Freundinnen meiner Mutter sind auch da und helfen ihr beim Reinigen. Nun fasse auch ich noch ein letztes Mal mit an und putze die Schuhkästen im Gang. Eine Stunde später sitzen wir im Auto und fahren nach Büron.

Mit der Oman Air Flug WY154 würde es heute Abend um 21:35 Uhr nach Muskat, der Hauptstadt des Sultanats Oman gehen. Nach einem kurzen Zwischenstopp dort, würden wir dann in unserem Ziel, Neu Delhi landen. Wer ist wir? Das sind Döme und ich 🙂 Wir würden zwei Wochen zusammen in Indien verbringen. Seine Freundin Susanne hat sich bereit erklärt uns zum Flughafen in Zürich, dem „Zürich International Airport“, zu fahren. Ja, der ist nicht nach irgendeinem Nationalhelden oder so benannt, wie in vielen anderen Ländern. „Willhelm Tell International Airport“ oder „Roger Federer International Airport“ oder „Ulrich Zwingli International Airport“, hahaha ok es reicht. Nicht dass das eine leidige Aufgabe wäre uns zum Flughafen zu fahren. Mit uns hat man Spass 😉 Meine Eltern, mein Cousin Daniel und ich essen gemeinsam etwas zu Abend. Nach dem Essen klingelt das Telefon. Irgendeine Marktforschungsagentur möchte die Meinung meiner Mutter zu bestimmten Themen kennenlernen. Leider warten Suu und Döme bereits unten vor dem Block im Auto auf mich. Mama hat grösste Mühe sich von dem Anruf zu lösen und Paps und ich sind bereit zum Hauseingang zu gehen. Ach herrje, was für eine Situation.

„Der älteste Sohn geht für ein halbes Jahr oder weiss ich nicht wie lange weg und du telefonierst!“

ärgert sich Papa und gibt den Ratschlag, einfach aufzulegen. Doch das möchte Mama nicht tun und erklärt dem Herrn am Telefon kurzerhand, dass sie in einer Zwickmühle steckt. Naja, derweil gehen Paps und ich mit dem Lift nach unten. Da warten sie schon. Nach der Begrüssung kommt auch Mama angerast und entschuldigt sich. Jetzt heisst es Abschied nehmen. In diesem Moment fiel es mir nicht schwer, erinnere ich mich. Es geht mir oft so. Wenn es Abschied nehmen heisst, dann verschwinden bei mir die meisten Emotionen. Das Vermissen und das Weinen kommen erst später.

Nach dem Check-In gehen Suu, Döme und ich in die berühmte ByeBye Bar im Flughafen. Irgendwie ist das eine Tradition geworden. Seit 2013 besuche ich die ByeBye Bar vor jedem Flug von Zürich aus. Egal obs nach Myanmar, Indonesien, Malaysia, Nepal oder Israel geht, immer die ByeBye Bar 😉 Suu sagt zu mir, dass Döme und sie mich besuchen kommen, wenn ich länger als Oktober fort bleibe. Wow, denke ich, das wäre cool. Zum Abschied machen wir noch ein paar Fotos:

Dann verabschieden Döme und ich uns von Suu. In zwei Wochen würde sie ihn wiedersehen. Die Boeing 787-800 der Oman Air hebt ab. Ich fliege gerne. Vor allem mag ich Flüge die spät abends starten, dann kann ich an Bord schlafen. Döme und ich trinken ein paar Bier und quatschen ein wenig. Ich habe mir vorgenommen auf diesem Flug zu schlafen, denn wir würden früh morgens in Muskat ankommen und Neu Delhi um die Mittagszeit erreichen. Ich fühle mich immer total seltsam wenn ich zu wenig Schlaf hatte, und das wollte ich vermeiden. Der Flug von Zürich nach Muskat würde denn auch nicht allzu lange dauern. Nur 6 Stunden und ein paar Minuten.

Ein paar wenige Stunden konnte ich tatsächlich schlafen und nun befinden wir uns im Landeanflug auf Muskat. Döme und ich waren vor drei Jahren schon mal hier, als wir ebenfalls einen Zwischenstopp einlegten um nach Bangkok zu kommen.

Es ist 06:00 Uhr Ortszeit. Unserem Gefühl nach zu urteilen ist es allerdings erst 03:00 Uhr morgens, da der Oman 3 Stunden vor der Mitteleuropäischen Zeitzone liegt. Unser Aufenthalt hier beschränkt sich auf ein paar Kaffees und ein wenig rumtippen auf dem Handy. In weniger als zwei Stunden sitzen wir schon im nächsten Flugzeug. Diesmal in einer Boeing 737. Ein noch kürzerer Flug von nur 3 Stunden und zehn Minuten. Neu Delhi liegt in noch einer anderen Zeitzone und ist der Schweizer Zeit viereinhalb Stunden voraus.

Ich bin ziemlich kaputt als wir uns im Landeanflug befinden, doch ich kann es nicht lassen neugierig aus dem Fenster zu blicken. Die ganzen Häuser. Alles flache Dächer. Kein einziges Giebeldach sehe ich. Tausende von Häusern. Die meisten weiss oder grau. Wie kleine Würfel sehen sie aus, zusammengepfercht in verschiedenste Formen um die Strassen herum.

Was würde uns hier erwarten? Welche Gefahren und Abenteuer lauern hier auf uns und haben nur auf uns gewartet?

Indien. Es wird keinem Backpacker als erstes Reiseziel empfohlen. Es soll eine ganze Nummer schwieriger sein, sich hier zurecht zu finden als in den meisten Ländern Südostasiens. Mysteriös. Bislang hatten wir es immer von unserer Liste gestrichen und zwar genau wegen den vielen Ratschlägen, die es nicht zu einem idealen Einsteigerland machen. Nun, wir haben doch schon einiges an Reiseerfahrung gesammelt inzwischen. Döme war in China, Laos und Sri Lanka. Ich in Nepal und Israel. Zusammen waren wir letztes Jahr in Malaysia und vor drei Jahren in Myanmar. Und dies alles nach unserer ersten Reise nach Thailand, Kambodscha, Laos und Vietnam. Nun sollten wir uns doch an Indien heranwagen können, dachte ich mir, als ich Döme das Reiseziel mehr oder weniger aufgedrängt hatte. Praktisch ganz Südostasien war weggefallen, auf Grund des dort wütenden Zika Virus. Damit auch die Philippinen, für die wir uns eigentlich so gut wie entschieden hatten. Also suchten wir nach Alternativen. Erst hat es nach Nepal ausgesehen, doch dann kam mir in den Sinn, dass es da doch noch dieses grosse, für uns unbekannte Land gab, von dem alle abgeraten hatten. Indien. Auch ich selbst wollte ja gar nicht da hin, vor ein paar Monaten. Auf meiner Reise im April 2016 in Nepal habe ich dutzende Leute getroffen, die im Nachbarland Indien waren und mir von Menschenmassen und seltsamen Stammesgebieten erzählt haben. Von Menschen, die ihre Haare anfassten und das Wort Privatsphäre nicht kannten. Alle waren sie froh, nicht mehr da zu sein. Nicht gerade motivierend. Vor allem für mich, der zu viele Menschen um sich herum nicht mag. Meine Meinung und meine Einstellung dazu änderten sich.

„Um Neues und Abenteuerliches zu erleben, muss man eben einen Preis bezahlen.“

sagte ich mir. Wenn dieser Preis das erdulden von Menschenmassen wäre, dann bin ich bereit ihn zu bezahlen und über meinen Schatten zu springen. Voller Enthusiasmus habe ich denn auch so vor Döme argumentiert, bis wir uns auf Indien als unser Reiseziel geeinigt haben. Die wenigen Wochen vor unserer Abreise beschäftigten wir uns ein wenig mit den Orten, die wir besuchen wollen. Folgende Orte haben es auf die Liste geschafft:

  • Neu Delhi
  • Jaipur
  • Agra
  • Varanasi
  • Darjeeling

Die Andamanen mussten wir leider streichen. Zu lange hätte es gedauert um die Inselgruppe in der von Varanasi aus zu erreichen.

Touchdown! Das Fahrwerk des Flugzeugs berührt den Boden. Die Boeing hat noch eine ungewöhnlich hohe Fluggeschwindigkeit drauf, als wir bei null Metern angelangen. Ob das wohl mit irgendwelchen Winden zu tun hat, fragen wir uns. Keine Ahnung. Naja. Nachdem wir das Flugzeug verlassen haben, geht’s zur Einreise. Da stehen schon hunderte von Touristen und Einheimische an. Unsere Visas für Indien, hatten wir beide bereits in der Schweiz beantragt.

Das Warten in der Schlange kam mir wie eine halbe Ewigkeit vor. Wahrscheinlich weil ich total übermüdet war. Allerdings nicht nur deswegen. Der Beamte, der unsere Warteschlange abfertigt, scheint sehr penibel zu sein und benötigt für jeden Touristen mehrere Minuten. Nun bin endlich ich dran. Keine Begrüssung. Er schaut gelangweilt und genervt zugleich aus. In meinem Pass sucht er nach dem Visum. Er findet es. Dann sieht er, dass ich einen Stempel für den Bundesstaat Sikkim darin habe. Ausgestellt von der Indischen Botschaft in Bern.

„You want go Sikkim?“

versucht er mich zu fragen. Ob ich nach Sikkim will. Ja, vielleicht, sage ich. Ich wisse es noch nicht genau und wolle mir alle Optionen offenhalten. Dann nickt er leicht. Er stöbert etwas im Pass und fragt dann wieder etwas über Sikkim und diesmal auch wieder über den Stempel auf dem Visum. Ich erkläre ihm, dass dieser von der Indischen Botschaft in der Schweiz kommt. Irgendwie scheint er das nicht zu glauben, oder mich nicht zu verstehen. Egal. Ich sage dann wieder, dass ich vielleicht nach Sikkim gehen werde. Schlussendlich lässt er mich gewähren, allerdings sehr unfreundlich und ohne Verabschiedung.

Ist das Indische Gastfreundschaft, frage ich mich. Egal. Ich bin drin. Döme war vor mir dran und wartete auf mich. Nachdem wir unser Gepäck wieder haben, machen wir uns auf die Suche nach einem ATM. Das ist eine „Automatic Teller Machine“, also ein Bankomat. Wir würden indische Rupien brauchen! Am ersten Geldautomaten sind wir erfolglos. Kein Bezug möglich. Mit Hilfe des Flughafenpersonals finden wir einen zweiten. Auch da, erfolglos. Auch der dritte spuckt nichts aus. Doch beim vierten klappt es dann. Das habe mit der Demonetisierung zu tun, erklärt mir jemand, der hinter mir am Bankomaten steht. Premierminister Narendra Modi erklärte in Indien kürzlich (am 8. November 2016) alle 500er und 1000er Noten für ungültig. Diese stellten 86% des gesamten Bargeldes im Umlauf dar! 50 Tage hätten die Inder Zeit um die alten Noten einzuzahlen. Somit bildeten sich extrem lange Schlangen vor den Banken und Bargeld wurde zur Knappheit. So ist es auch 5 Monate später immer noch knapper als üblich. Der Maximalbetrag den man an Bankomaten beziehen kann ist 10‘000 Rupien. Das sind ca. 150 Schweizer Franken. Das reicht dann je nach dem für 3-5 Tage aus.

In der Zwischenzeit wartete auch schon der Fahrer unserer Unterkunft auf uns. Er brachte uns durch den Verkehr zu unserer Unterkunft im Stadtteil Paharganj – ausgesprochen Pahargansch. Enge Gassen, viele Menschen. Das Auto fährt nur Zentimeter an Fahrrädern und Menschen vorbei. Immer enger scheinen die Gassen zu werden und schlussendlich kann der Fahrer nicht weiterfahren, da der Weg zum Hotel zu eng ist. Den Rest gehen wir zu Fuss. Das Smyle Inn ist ein kleines, nettes Hotel mit zwei Standorten unmittelbar beieinander. Unser Zimmer hat eine Klimaanlage, dafür aber keine Fenster, hehe.

Wir packen unser Zeug aus. Nun entdeckt Döme etwas: seine Freundin Suu hat etwas für ihn in seinen Rucksack geschmuggelt! Einen kleinen, selbst gehäkelten Hund mit einem persönlichen Brief und viel Schockolade! Wow, was für eine Überraschung. Und da ist noch mehr: auch für mich ist ein Tierchen da. Eine Kuh! Um ihren Hals trägt sie einen kleinen Brief. Ihr Name ist Klara. Suu hat ihrem Freund Döme und mir je einen kleinen Brief geschrieben. Sehr persönliche Worte, die ich hier nicht veröffentlichen werde 🙂 Vielen herzlichen Dank noch einmal Suu! 🙂

Als wir beide versunken in den Briefen die sie uns geschrieben hat im Bett liegen, fordern die Anstrengungen der letzten Wochen ihren Preis. Wir schlafen ein. Es war ein ziemlicher Stress in den letzten Wochen. Als ich im Januar die Entscheidung getroffen hatte auf Reisen zu gehen, löste das eine ganze Kette von Ereignissen aus. Innerhalb von 6 Wochen habe ich meine Wohnung aufgelöst und geputzt, meine Arbeitsstelle gekündigt, meine Versicherungen und anderen Abonnements gekündigt und mich offiziell in der Schweiz abgemeldet. Nebenbei habe ich meinen Eltern beim Umzug in ihre neue Wohnung geholfen. Ach ja, zwei Steuererklärungen habe ich ausgefüllt – eine für 2016 und eine für die ersten 2 Monate 2017 – und meine Reise vorbereitet.

Viel, viel Papierkram und Kommunikation.

Ich habe jeweils von 14:00 Uhr bis 22:00 Uhr gearbeitet, bin dann nach Hause gegangen um zu planen und E-Mails zu schreiben. Morgens habe ich dann telefoniert. Mit der Pensionskasse, mit der Ausgleichskasse, mit der Zusatzversicherung, mit der Grundversicherung, mit der Gemeinde, mit der Bank, mit der CKW, mit der Swisscom, mit der Vermietung und so weiter, hehehe.

Krishna sei Dank kann man heute vieles online erledigen in der Schweiz. Adressänderungen zum Beispiel. Am Ende hat alles geklappt, obwohl ich mir ab und zu nicht sicher war, ob ich alles in der kurzen Zeit hinkriege. Doch ich habs geschafft! 🙂 Wenn man ein Ziel hat und davon überzeugt ist, kann man sehr viel mehr leisten als man denkt. Auch Döme hat eine anstrengende Zeit hinter sich, mit viel Arbeit und einer Weiterbildung.

Doch nun war es Zeit sich auszuruhen und auf diese Reise einzustellen. So um 18:00 Uhr wachten wir auf. Beide hatten wir Hunger. Nun würden wir nach draussen gehen und uns ins Getue stürzen müssen um etwas zu Essen zu bekommen. Bereits als wir den Eingang des Hotels verlassen steigen allerlei Gerüche in unsere Nasen. Seltsame Gerüche.

Einmal süss, einmal würzig und dann plötzlich: riecht es hier wirklich nach Pisse und Kacke?

Ja, tatsächlich, denn wir gehen gerade an einer öffentlichen Toilette oder was es auch immer ist, vorbei. Als wir aus der Seitengasse, wo das Symle Inn liegt, heraus sind, treten wir auf eine Hauptstrasse. Nun kommen schon die ersten Gaukler und Freunde angelaufen. Leute die einen einfach so ansprechen, mir nichts dir nichts und schlussendlich irgendwas von einem wollen. Meistens soll man was kaufen, sich irgendwo hinfahren lassen oder einfach so Geld geben. Wir lehnen immer dankend ab. Klar mit der Zeit hat man genug davon und ist dann manchmal auch nicht mehr so freundlich, wenn jemand aufdringlich ist.

Das coole an den Flachdächern in Indien ist, dass sie Platz für Dachterrassen und Restaurants bieten. Und da Döme und ich gerne den Überblick haben, laufen wir die Treppen zu einem Dachrestaurant im vierten Stock hoch. Coole Aussicht auf eine Art Kreuzung von hier. Das ganze Gewusel und Getue können wir gut beobachten. Das mögen wir.

Nur einen Tisch von uns entfernt sitzt ein junger Inder, so Mitte 20. Wir kommen ins Gespräch. Sehr dreist, denke ich. Er spricht uns ohne weiteres an und macht nicht den Eindruck ein Händler oder sowas zu sein. Das würde ich im Laufe der Zeit noch herausfinden: Inder sind sehr offen und direkt. Wenn sie etwas wissen wollen, dann sprechen sie einen ohne weiteres an und fragen nach. Keine Scheue hier. Der junge Mann heisst Raj und hat eine Freundin aus Frankreich, die ihn in einigen Tagen besuchen wird. Er spricht gar Französisch. Gemeinsam nehmen wir das Abendessen ein und trinken ein paar Bier.

Am nächsten Tag, Samstag, 04. März, laufen Döme und ich zum Bahnhof – ok zu einem der vielen Bahnhöfe in Delhi. Der nächste von unserer Unterkunft aus ist die New Delhi Station. Auf dem Weg dorthin werden wir immer wieder von irgendwelchen Gaucklern angesprochen, das Übliche halt. Doch dann geht’s weiter. Vor dem Bahnhof stehen einige Männer, die ein Zugticket sehen wollen. Darüber habe ich gelesen und erzähle es Döme.

Man soll sie einfach ignorieren und an ihnen vorbeilaufen. Sie arbeiten nicht für eine Behörde oder für die Zuggesellschaft, nein. Sie arbeiten für Reisebüros und Taxiunternehmen und würden einen irgendeinen Blödsinn erzählen, um einen in das Reisebüro zu locken. Also laufen wir einfach vorbei. Klar sprechen sie uns an – wir sind weisse Ausländer -, doch zielstrebig gehen wir weiter.

Wir gehen in die Bahnhofshalle hinein und sehen uns die Abfahrtstafel mit den Zugnummern an. Warum wir überhaupt hier sind? Am Montag würden wir hier in einen Zug nach Jaipur steigen. Die Tickets hatte ich bereits in der Schweiz gebucht und bezahlt.

In der Bahnhofshalle kommt ein Mann auf uns zu. Er trägt ein Hemd und fragt uns, wo wir hinwollen. Nach Jaipur sagen wir. Ob wir schon Tickets hätten, fragt er. Wir zeigen ihm unsere Tickets. Dann sieht er sie sich an.

„You’re going from New Delhi Station to Jaipur, Monday morning.”

liesst er vor. Dann erklärt er uns, dass wir diese Tickets an einem Schalter bestätigen müssen. Aha, denke ich. Davon habe ich noch nichts gehört. Wir fragen ihn, für wen er arbeitet. Er zeigt uns einen grünlichen Ausweis, wo „Government“, also „Regierung“ drauf steht mit einem Bild von ihm. Er führt uns nach draussen und erklärt uns, wo wir die Tickets bestätigen lassen können. Döme und ich werweisen und überlegen uns, ob das wirklich sein kann. Das Bestätigungsbüro liegt ausserhalb des Bahnhofs. Der Herr ist sogar so freundlich und organisiert ein TukTuk für uns, dass uns dahin bringen soll. Wir lehnen allerdings dankend ab, denn wir möchten uns erst im Internet erkundigen, ob das wirklich stimmt. Nachdem wir uns endlich von dem Typen losgelöst haben, gehen wir in ein Restaurant um einen Kaffee zu trinken und uns ein wenig zu beraten.

Wir würden Morgen nochmal zum Bahnhof gehen und versuchen dort das Ticket zu bestätigen. Ausserhalb des Bahnhofs erscheint uns irgendwie zu unrealistisch. Nach dem Kaffee und einer Unterhaltung gehen laufen wir die Strasse entlang um die Gegend etwas besser kennenzulernen und zu fotografieren.

Das Abendessen nehmen wir dann auch wieder in einem Dachrestaurant ein. Dort lassen wir den Tag und unsere Eindrücke Revue passieren. Indien ist schon anders, stellen wir fest. Sehr viele aufdringliche Leute hier. Auch ist es oft schwierig an wahre Informationen zu kommen. Oft weiss man nicht, wer einen die Wahrheit erzählt und wer einen anlügt. Laut ist es auch. Und stinken tut es auch an vielen Orten. Hupen tun die Inder auch gerne.

Sonntag, 05. März 2017. Heute wollen wir uns das berühmte rote Fort in Alt Delhi ansehen. Mit der U-Bahn versuchen wir dahin zu kommen. Doch vorher statten wir dem Bahnhof einen erneuten Besuch ab. Diesmal gehen wir einfach an allen Leuten vorbei um ins Büro im zweiten Stock zu kommen. Dort warten wir, bis wir an der Reihe sind. Wir zeigen dem freundlichen Mann hinter dem Schalter unsere Tickets und möchten wissen, ob wir diese wirklich bestätigen lassen müssen. Er sieht sich die in der Schweiz ausgedruckten Tickets an und bestätigt, dass wir mit diesen Tickets einfach in den Zug einsteigen können. Freundlich fügt er hinzu, dass wir niemandem ausserhalb des Bahnhofs trauen sollen, hehe.

Zu Fuss erreichen wir die U-Bahn Station. Von der nächsten Station aus handeln wir eine Fahrradrikscha auf 20 Rupien herunter um uns zum roten Fort zu bringen. Irgendwann auf dem Weg stellt der Typ fest, dass er uns falsch verstanden hat und er in die völlig falsche Richtung gefahren ist. Er soll uns zurück bringen. Von dort aus gehen wir halt zu Fuss. Es ist ziemlich heiss und diesen Strassen entlang zu laufen ist beschwerlich.

Kaputte Trottoirs, Stromleitungen, parkierte Fahrzeuge, Löcher im Boden, Hunde, Bettler und vieles anderes versperren einem den Weg und man muss kontinuierlich ausweichen und Umwege suchen.

Als wir, wie einige Inder an einer grossen Kreuzung warten und den Verkehr beobachten, um die Strasse überqueren zu können, spüre ich etwas hinter mir. Jemand berührt meinen Rucksack. Ich drehe mich um und da läuft auch schon ein Mann davon und blickt mich an. „Hey!“ sage ich, doch weg ist er schon und ich muss laufen, denn nun können wir die Strasse überqueren.

Am anderen Ende angekommen sehe ich mir meinen Rucksack an. Der Reisverschluss des hintersten Fachs ist offen. Verflucht, denke ich mir. Das ist mir noch nie passiert. Allah sei Dank, war nichts im äussersten Fach. Der Typ war clever, sage ich. Er hat einen guten Moment ausgesucht, nämlich als wir uns konzentrieren mussten um eine Lücke im Verkehr zu finden, durch die wir die Strasse überqueren konnten. Wow, ziemlich dreist. Döme’s Alarmglocken gehen an und er überprüft auch seinen Rucksack. Wir sind von hunderten Menschen umgeben. Das Trottoir ist voll und es ist ein Gedränge. Wir suchen den Eingang zum Fort und finden ihn auch.

Da sehen wir die Warteschlange für die Tickets. Hunderte Menschen warten. Unglaublich. Das verleidet uns und wir entscheiden uns stattdessen etwas anderes anzusehen. Die Jama Moschee, schlage ich vor. Gezwungenermassen nehmen wir eine Fahrradrikscha, die uns zur Moschee bringen soll. Die ganze Hektik, der Verkehr, das Gehuppe, die Menschen, es ist überwältigend. An der Moschee angekommen, erklärt man uns, dass sie derzeit nur für Muslime zugänglich sei, da gerade das Gebet stattfinde. Dann würden wir halt erst zu Mittag essen. Einen ziemlichen Weg müssen wir gehen, bevor wir ein Restaurant finden, das uns beide anspricht. Es gibt mal wieder Reis 😉

Nachdem wir satt sind, gehen wir wieder zur Moschee. Am Eingang gibt man uns Tücher, die wir um unsere Hüften binden, um unsere kurzen Hosen zu verstecken. Islam halt. Klar sehen wir lächerlich aus und machen ein paar Selfies, hahaha.

Doch wir sind nicht die einzigen, die uns fotografieren. Nun sprechen uns ein paar junge, männliche Inder an, keine 20. Ob sie ein Foto mit uns machen dürfen. Okay, sagen wir. Döme mag das eigentlich gar nicht so gerne. Doch auch er macht mit. Als sie ein paar Fotos gemacht haben, wollen wir weiter gehen. Denkste. Nun kommt eine andere Gruppe junger Männer, die auch ein Bild haben möchten. Na dann halt, sagen wir. Nach der dritten oder vierten Gruppe lösen wir uns endlich und können die Moschee besichtigen. Doch ganz ehrlich: wir können jeweils nur zwei bis fünf Minuten herumlaufen und Fotos machen, bis wir wieder nach einem Foto gefragt werden. Es ist unglaublich, das habe ich noch nie erlebt.

Doch nun zur Moschee. Für mich ist sie ein sehr schönes Gebäude. Gross, ziemlich prächtig. Das Design gefällt mir. Nicht so sehr wie der Felsendom in Jerusalem, aber sehr schön. Sie ist die grösste Moschee Indiens und eine der grössten der Welt. Fertiggestellt 1656 im Auftrag von Shah Jahan mit der Manneskraft von 5000 Arbeitern. Auf dem grossen Platz vor der Moschee sollen bis zu 20‘000 Gläubige Platz finden.

Nach gefühlten 200 Selfies verlassen wir endlich die Moschee. Wir fühlen uns irgendwie wie Stars. Warum wollen alle Fotos mit uns? Ist es wegen der dämlichen Tücher oder was? Wir wissen es nicht. Es sind denn auch immer nur männliche Inder, die uns nach Bildern fragen, nie eine Frau oder ein Mädchen. Nach unserem Besuch in dieser schönen Moschee verweilen wir ein wenig auf den Treppen vor dem Eingangstor. Wir entscheiden uns, ein wenig zu spazieren und so laufen wir durch einen offensichtlich muslimischen Stadtteil. Sehr enge Gassen. Wieder verschiedenste Gerüche liegen in der Luft. Fleisch, welches in im freien geschnitten wird. Dann ein süsslicher Duft. Und plötzlich wieder der Schweiss von jemandem oder Urin. Die Düfte wechseln sich alle paar Meter ab. Zu viel für die Sinne. Fahrradrikschas drängen sich durch die Menschen und an einer Kreuzung kommt es zu einem Stau. Man hat kaum Platz zum Atmen. Nur schon irgendwo stehen zu bleiben um ein Foto zu machen, ist eine Herausforderung.

Alles um einen herum bewegt sich. Nichts scheint still zu stehen, alles ist lebendig und hat irgendeinen Sinn. Überwältigend.

Über die U-Bahn erreichen wir einen ruhigeren Ort. Die Lodi Gärten. So eine Art Park. Eine willkommene Abwechslung. Hier herrscht gerade nicht das Chaos und es sind keine Menschenmassen hier. Es ist ruhiger und grün. Hier gönnen wir uns eine Verschnaufpause.

Nach einem letzten Abendessen in einem Dachrestaurant legen wir uns hin um zu schlafen. Morgen würden wir früh aufstehen müssen, da unser Zug bereits um 06:05 Uhr abfahren würde. Dann würden wir aus dem hektischen Delhi rauskommen! Was uns an diesem Morgen passiert ist, im nächsten Beitrag aus der Reihe: Geschichten aus Indien!

Danke fürs Lesen!

2 Replies to “Das Abenteuer beginnt”

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