Ab ins Grüne!

Ab ins Grüne!

Wandern auf den Philippinen ? Einem Meeres- und Strandparadies mit 7100 Inseln? Wie soll das gehen? Tja, auch hier gibt es Berge. Klar, der höchste Berg hier, der Mount Apo auf der Insel Mindanao ist mit 2900 Metern nicht gerade die Dufour Spitze, aber hey: die Insel liegt offensichtlich auf Meereshöhe, also gibt’s da doch einen ziemlichen Unterschied zur Schweiz, die ja sogar an ihrer niedrigsten Stelle immer noch über dem Meeresspiegel liegt.

Der Mount Apo war denn auch nicht das Ziel der heutigen Wanderung. Nein. Heute soll es der Mount Maculot sein. Dessen Gipfel liegt „nur“ 930 Meter über Meer. Viele Schweizer – mich miteinbezogen – würden das einen Hügel und nicht einen Berg nennen. Ob das wohl eine Untertreibung ist? Wir werden es heute sehen!

Ausgangsort für die Wanderung zum Gipfel ist der kleine Ort Cuenca, ausgesprochen „Kuenka“ in der Philippinischen Provinz Batangas. Diese Provinz liegt immer noch auf der grössten der Philippinischen Inseln: Luzon. Nein, nicht Luzern, Luzon, hehe.

Samstagmorgen, 17. Juni um 03:00 Uhr geht der Wecker ab. Zeit aufzustehen. Was? So früh? Ja, leider ist es notwendig. Um von unserem Wohnort in Pasig (Manila) nach Cuenca zu kommen, würden wir mehr als 3 Stunden benötigen und wenn wir die Wanderung am selben Tag abschliessen wollen, wie wir sie begonnen haben, würden wir zeitig losmüssen. Lim und ich frühstücken und verlassen dann die Wohnung. Das erste Mal probiere ich den Taxidienst Uber aus. Meines Wissens in der Schweiz ziemlich umstritten, wenn nicht gar illegal, ist es hier ganz normal diesen Dienst zu benutzen und auch nicht verboten. In die Uber app auf dem Handy gibt man seinen Wohnort ein und dann seinen Zielort, wo man hinmöchte. Dann werden einem alle verfügbaren Taxis in der Umgebung per GPS auf dem Display angezeigt und auch der Fahrpreis bis zum Ziel.

Wir staunen nicht schlecht, als vier Minuten nach Eingabe unseres Ziels in die Handyapp, ein Auto praktisch vor unserem Wohnblock hält. Los geht’s zum Busterminal im Stadtteil Cubao. Morgens um 04:00 Uhr herrscht viel mehr Verkehr, als ich mir vorgestellt habe, aber nicht genug für einen Stau. Zügig sind wir da, und keine 20 Minuten später sitzen wir bereits in einem fahrenden Bus nach Batangas. Das geht alles so geschmeidig, so lückenlos und gar nicht nervenaufreibend heute, denke ich. Kaum Wartezeiten. Erstaunlich.

Während eine rote Sonne zu unserer linken langsam den Himmel besteigt, tut die Klimaanlage im Bus ihr bestes und Lim bekommt meine Regenjacke gegen die Kälte.

Ich weiss nicht, was der arme Kerl einmal tun wird, wenn er in die Schweiz kommt, hahaha!

Wir versuchen ein wenig zu schlafen. Die Fahrt würde ungefähr 2,5 Stunden dauern. Auf einer Autobahn geht’s Richtung Süden. Immer wieder muss der Bus verlangsamen, weil wir dutzende Zahlstationen passieren müssen. Ja, hier bezahlt man für die Benutzung der Autobahn, und zwar so gefühlt alle 2 Kilometer, haha. Sehr lästig. Nichts desto trotz herrscht auch hier nicht genügend Verkehr um einen Stau zu verursachen und so kommen wir sehr schnell nach Lipa, wo der Bus die Autobahn und wir den Bus verlassen würden. Direkt nach der Ausfahrt wartet auch schon ein Jeepney. Ich fasse es nicht. Schon wieder so flüssig, dass wir direkt einsteigen können ohne Wartezeit und so ca. 15 Minuten später in Cuneca ankommen.

Hier bringt uns ein Trike – Abkürzung für Tricycle – zur Registrierungsstelle für die Wanderung. Ja, hier müssen sich alle registrieren und dafür natürlich auch eine Gebühr bezahlen. Dann bekommen Lim und ich einen Führer zugewiesen – ja, auch das ist obligatorisch. Ich will wissen weshalb. Man sagt mir, dass es auf dem Berg Vorfälle gegeben habe. Was für Vorfälle, möchte ich wissen. Ich solle unseren Führer fragen, sagt man mir. Naja, dann halt.

Immer diese Pseudo Sicherheitsmassnahmen, die nur da sind um Geld zu machen, denke ich mir.

Niemand darf den Berg ohne Führer besteigen.

Jemand hat mir bei einer anderen Gelegenheit mal erzählt, dass es überall auf den Philippinen so sei. Kaum auszudenken, was für einen Aufstand so eine Regelung in der Schweiz auslösen würde! Wenn Herr und Frau Dubach mit den Kindern am Sonntag auf die Melchsee Frutt wollen und ihnen dann an der Bergstation gesagt wird, dass sie einen Führer brauchen um den Melchsee zu umrunden, weil es Vorfälle gegeben habe. Welche Vorfälle, sollen sie dann bitte den Führer fragen, hahahaha.

Lächerlich, denke ich mir. Egal. Ist meine Meinung. Unser Führer für heute heisst Carlos und ist 21 Jahre alt. Kurz decken Lim und ich uns mit Sonnencreme ein und dann geht’s auch schon los auf dem Pfad. Schon bei der Anfahrt von Lipa haben wir den Berg von weitem gesehen. Er ist nicht zu übersehen mit seinen 930 Metern. So geht der Pfad zu den Rockies, einem tiefer gelegenen Gipfel auf 730 Meter, auch schon vom Beginn anständig nach oben.

Endlich grün, sage ich. Ich habe das grüne, die Bäume, den Wald, die frische Luft vermisst in Manila. Nun endlich habe ich das wieder. Ich freue mich sehr und atme die wunderbare Luft genüsslich ein. Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass ich etwas so normales, vermissen würde.

Das ist Lims erste Wanderung. Noch nie in seinem Leben hat er eine Wanderung unternommen und da ich es so gerne mag, habe ich ihn überredet mitzukommen. Er ist überhaupt nicht sportlich und hält sich lieber drinnen als draussen auf. Carlos hat ein hohes Tempo drauf, auch für mich als doch recht anständigen Wandervogel. Immer wieder frage ich Lim, ob er eine Pause machen will. Immer wieder lehnt er ab. Schwitzen tun wir alle. Die zwei Filipinos haben je ein Tuch dabei, um den Schweiss abzuwischen. Bei mir tropft das ganze einfach runter, hahaha.

Nun legt Carlos eine Trinkpause ein. Endlich, denke ich. Lim scheint mit dem Tempo mithalten zu können, ich bin sehr erstaunt. Von Startpunkt bis zu den Rockies sollten wir ca. 1:30 bis 1:45 Stunden benötigen, habe ich im Netz gelesen. Wir kommen immer wieder an sogenannten Camps vorbei. Das sind so kleine Holztheken mit Sitzgelegenheiten, wo jemand Getränke und Snacks verkauft. Auf dem ganzen Weg von unten bis zu den Rockies gibt es 14 Camps, erzählt Carlos. Wow, denke ich, das sind ja viele. Beim ersten Camp treffen wir auf zwei Filipinos. Einen Mann und eine Frau – natürlich mit ihrem obligatorischen Führer. Lim sieht erschöpft aus. Wir trinken viel Wasser. Auch ich bin erschöpft. Der Weg ist sehr steil.

Da wird nicht lange drumrumgelaufen, da geht’s direkt nach oben!

Ich warte immer bis Lim sagt, dass er weiter gehen möchte. Da es seine erste Wanderung ist, möchte ich, dass wir sein Tempo gehen. Immer wieder treffen wir auf die beiden Filipinos bei den Camps und schlussendlich überholen wir sie. Camp 7. Dann Camp 8. Jetzt kommen die Camps in immer kürzeren Abständen, da der Weg immer steiler zu werden scheint. Bei Camp 14 würden wir die Rockies erreicht haben. Allah sei Dank geht der Weg durch den Wald, denke ich. Denn so sind wir vor der Sonne geschützt. Nicht vorzustellen wenn wir diesen Pfad bei direkter Sonneneinstrahlung hochlaufen müssten! Bei Camp 12 oder so haben wir einen herrlichen Ausblick auf den Taal See, ausgesprochen Ta Al.

Nun ist es nicht mehr weit.

Carlos drängt auf einen schnellen Aufstieg. So lange Lim mithalten kann, denke ich, ist es ok. Doch nun fängt er an richtig erschöpft zu sein. Immer langsamer werden seine Schritte. Ich versuche ihn zu motivieren. Dann trinken wir wieder viel Wasser und machen kurze Pausen. Kurz darauf ist es geschafft und wir haben die Rockies erreicht! Als ich auf die Uhr auf meinem Handy schaue – ich trage nie eine Armbanduhr – staune ich nicht schlecht. Es ist 08:00 Uhr! Wir haben den Aufstieg um ca. 07:00 Uhr begonnen. 60 Minuten und das mit den Pausen! Unglaublich. Das muss neuer Rekord sein! Lim setzt sich hin und legt seinen Kopf in die Arme. Er ist total kaputt.

“I will never go hiking again!”

erklärt er. Er werde nie mehr wandern gehen. War das zu viel? Ist ihm die Lust aufs wandern nun tatsächlich vergangen? Ich glaube es handelt sich nur um einen vorübergehenden Anschiss, hehe. Klar, es war extrem anstrengend bis hier rauf zu kommen und erst recht für ihn. Wir machen eine ausgiebige Pause. Ich meine wenn wir schon um 08:00 Uhr hier oben sind, dann würden wir das Mittagessen wohl im Bus nach Hause einnehmen, haha. Es gibt Kaffee hier oben und so gönne ich mir gleich zwei davon. Für Lim gibt’s eine Cola um seinen Zuckerspiegel wieder auf Vordermann zu bringen. Wasser hat er definitiv genug getrunken.

Nun erzählt er mir, dass er wegen der Hitze schon einmal kollabiert sei und das nicht bei körperlicher Anstrengung. Na toll, denke ich. Und das sagst du mir jetzt? Aber ich mache mir keine Vorwürfe. Er ist jung. Zwar unsportlich, aber jung und nicht übergewichtig und das macht vieles wett. Ich bin überzeugt, dass er nach einer guten Pause wieder fit sein wird.

Nach einer Stunde ist die wundersame Heilung vollbracht und Lim ist wieder bereit! Doch bevor wir den Gipfel bestürmen, begeben wir uns zu den Rockies. Das ist ein felsiger Aussichtspunkt unweit vom letzten Camp entfernt. Was da abgeht, nenne ich Fototourismus. Da sind dutzende Wanderer, die sich von ihren Führern an vordefinierten Stellen ablichten lassen. Es ist ein regelrechtes Anstehen an den besten Orten für ein Foto. Für die Führer scheint es totale Routine zu sein. Unglaublich denke ich. Doch mehr als das, zieht mich die überwältigende Aussicht von dieser Felsformation auf den Taal See in ihren Bann. Es ist einfach atemberaubend. Ich glaube ich gehöre zu den wenigen, die einfach kurz inne halten um die Aussicht zu bestaunen. Ohne Foto. Ohne Selfie. Ohne Handy. Einfach dasitzen und staunen. Ruhig verweilen.

Eine Wandergruppe mit eigens für diese Wanderung angefertigten T-Shirts ist auch zugegen. Die Shirts sind mit dem Datum von heute bedruckt. Die Gruppe setzt nun ihren wichtigsten, für eine solche Wanderung absolut unentbehrlichen Ausrüstungsgegenstand ein: einen Selfie Stick! Dann mache auch ich beim Fototourismus mit – natürlich nur unter Zwang und Gruppendruck 😉 –  und es entstehen einige sehr schöne Bilder:

Die Server von Instagram und Facebook werden heute mit einigen Bytes von hier gefüttert werden, denke ich mir.

Wir gehen wieder zum Camp und essen dort unsere Sandwiches, die wir gestern gemacht haben. Lim hat gebratenen Schinken in seinen Sandwiches, da er noch nie rohen gegessen hat und meint das sei nicht normal und ich den rohen, hehe. Sein Mittagessen um 10:00 Uhr einzunehmen, wenn man um 03:00 Uhr aufgestanden ist, macht Sinn für mich 😉 Da stelle ich doch glatt fest, dass die ganze Fotosession mit der Warterei genauso lange wie der Aufstieg gedauert hat, hahaha. Weiter geht’s nun. Der Gipfel des Mount Maculot wartet auf uns! Vom letzten Camp zum Gipfel soll es noch ca. 1 Stunde sein, meint Carlos. Diesmal gehe ich hinter ihm und Lim zuletzt. Ich sage ihm, dass wir das Tempo verlangsamen sollen und verlangsame selbst künstlich. So kommen wir gut und gemütlich nach ca. 45 Minuten auf dem Gipfel des Berges an. Hier oben steht dann auch ein Schild mit dem man die typischen Gipfelfotos machen kann.

Abgesehen vom Schild und der schönen Aussicht ist da nicht viel und wir sind auch praktisch nirgends vor der Sonne geschützt. So verweilen wir nicht lange und machen uns auf den Weg nach unten. Dieser soll über eine Grotte führen. Nach wenigen hundert Metern wird klar, dass der Abstieg gefährlicher als der Aufstieg werden sollte. Sehr steil geht es hinunter und an manchen Orten benötigen wir gar ein Seil um nach unten zu kommen. Der Boden ist auch ein wenig rutschig und ich falle ein Mal auf den Hintern.

Wir kommen bei der Grotte an und sind froh, dass der steilste Teil des Abstiegs vorüber ist. Von hier sehen wir auch gut zum Gipfel hinauf, auf dem wir vor weniger als einer Stunde noch waren. Die Grotte wurde nach der von Lourdes benannt.

Von hier weg führen viele Stufen einer Treppe an den symbolischen Vierzehn Stationen der Kreuzigung von Jesus vorbei. Ich sei der erste Ausländer, den er auf den Berg geführt habe, sagt Carlos. Ich bin neugierig und frage ihn ein wenig über sein Leben aus. Er lebt mit seiner Schwester und seiner Tante in Cuenca. Sein Vater ist vor sieben Jahren an Herzversagen gestorben. Er schlief ein und wachte nicht mehr auf. Seine Mutter arbeitet in Manila, im Stadtteil Malate. Auch seit sieben Jahren hat er eine Freundin, mit der er sonntags oft zur Kirche geht.

Als wir durch ein Feld mit hohem Gras zu beiden Seiten laufen, wird mir klar, dass wir die Wanderung geschafft haben. Unsere Beine zittern ein wenig vom Abstieg, doch Lim und ich freuen uns. Vor allem weil er es geschafft hat! Das war eine harte Wanderung und das noch für jemanden, der sonst nicht sportlich ist. Bravo! 🙂

Mit dem Trike geht’s zurück zum Jeepney, mit dem Jeepney zurück zum Bus und ehe wir uns versehen stecken wir wieder im Verkehr von Manila. Inzwischen sind mehr Autos als Morgens um 03:00 Uhr unterwegs und es reicht auch aus für einen anständigen Stau. Willkommen zurück, denke ich.

Die Flucht ins Grüne wars wert!

2 Replies to “Ab ins Grüne!”

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