Da wo der Tee wächst
Mir verschlägt es fast die Sprache, als ich im Bus nach Tanah Rata sitze und auf die Abfahrt warte. Heute Morgen war ich von Melaka zur TBS Bus Station in Kuala Lumpur gefahren.
Die Busstation ist organisiert wie ein Flughafen!
Es gibt Gates, an denen Buse ankommen und abfahren. Ich kam also an, nahm die Rolltreppe zum Terminal, kaufte ein Ticket nach Tanah Rata – Sitzauswahl auf dem Display bei der freundlichen Verkäuferin – ging zum Abfahrtsgate und stieg in den nächsten Bus. Das alles innerhalb von 15 Minuten! Und wieder versetzt mich Malaysia ins Staunen. Hier ist irgendwie alles so gut organisiert, übersichtlich beschriftet und pünktlich. Zumindest was den öffentlichen Verkehr angeht. Ausser in Singapur habe ich das sonst nirgends in Asien gesehen.
Die Klimaanlage läuft und es geht los. Erst eine Zeit lang auf der Autobahn und dann geht’s los mit den Kurven. Die Cameron Highlands liegen auf 1500m über Meer. Diese gilt es erst zu erklimmen oder in diesem Fall zu „erfahren“ hahaha. Ein Wortspiel, wie lustig *grins*. Dort oben würden die Temperaturen frischer sein, wusste ich. Der Fahrer geht so richtig in die Kurven rein und oft frage ich mich, ob er Sehnsucht nach dem Ableben hat. Immer wieder pflückt er Grünzeug mit dem linken Aussenspiegel des Fahrzeugs.
Ich beginne die Kilometer abzuzählen und wünsche mir, dass die Fahrt baldmöglichst vorbei sein würde, denn so langsam wird mir übel. Es dunkelt ein und plötzlich beginnt es wie aus Strömen zu regnen. Oha, denke ich, hoffentlich jagt uns der Fahrer nicht an irgendeiner ungedeckten Bushaltestelle aus dem Bus. Bis ich meine Regenjacke aus meinem grossen Rucksack gekramt hätte, würde ich schon bis auf die Unterhosen nass sein. Plötzlich verschwindet dieser Gedanke, denn ich erblicke die berühmten Teeplantagen. Im Regen und den tiefhängenden Wolken wirken sie so surreal. Sie fangen meinen Blick ein und lassen ihn nicht mehr abschweifen.
Dann kommen wir in Tanah Rata an. Es ist die grösste Siedlung in den Cameron Highlands. Ach ja, dazu noch etwas: der Britische Landvermesser William Cameron entdeckte das Hochplateau, das Cameron Highlands genannt wird, 1885. Fortan kamen tropengeschädigte Kolonialherren hier rauf um sich von der brühenden Hitze im Tiefland zu erholen. Es ist feucht, es regnet jeden Tag und bietet somit optimale Bedingungen für den Anbau von Tee. Damit begannen die Engländer denn auch 1926 und somit kamen viele Inder aus dem Indischen Bundesstaat Tamil Nadu ins Land, denn sie waren sich körperliche Strapazen in tropischem Klima gewohnt und mochten sich eher den Britischen Plantagenbesitzern unterordnen als die Chinesischen Arbeiter.
Bis vor kurzem machten sie auch den Grossteil der Plantagenarbeiter aus, den nun mehr Indonesier aus Java stellen. Der Regen prasselt auf den Strassenbelag und die – Buddha sei Dank – gedeckte Busstation. Weit zu meiner Unterkunft ist es nicht, denn ich habe bei der Fahrt durch das Dorfzentrum ein Schild gesehen, das den Weg dorthin weist. Laufen will ich trotzdem nicht in dem Regen als nehme ich mir ein Teksi.
10 Ringgit sind eigentlich zu viel für die kurze Fahrt, aber ich hatte keine Lust zum Verhandeln.
Wieder einmal darf ich einem Taxifahrer – der ja eigentlich den Ort besser als ich kennen sollte – den Weg zu einer Unterkunft beschreiben. Diesmal geht das so weit, dass ich mit meinem Zeigefinger immer wieder auf die Schilder zeige, die zum „KRS Pines Guesthouse“ führen. Entweder kann der gute Mann nicht lesen – was durchaus möglich ist – oder ich weiss auch nicht. So kommen wir schlussendlich nach 5 Minuten an, vielen Dank.
Mit einem ungemütlichen, lauten, unbequemen Zimmer rechne ich. Es war schwierig noch eine Unterkunft zu einem vernünftigen Preis buchen zu können, da fast schon alles belegt war. Also war das KRS Pines Guesthouse meine letzte vernünftige Option, wenn ich nicht in einem Schlafsaal mit 5 anderen Reisenden, übernachten wollte. Einmal mehr kommt alles anders: das Einzelzimmer für welches ich 11 Franken pro Nacht bezahle hat ein eigenes Badezimmer mit Dusche, einen Schreibtisch, einen Schrank, ein Bett und eine nette Aussicht.
Gross ist es nicht, aber hey, es ist im ersten Stock in einer kleinen Nische. Somit würde ich meine Ruhe haben, nicht wie andere Reisende, die hier ziemlich negative Erfahrungen gemacht haben. Ich denke diese beziehen sich auf die Doppelzimmer im Erdgeschoss, die keine richtigen Wände haben, hehe. Diesmal zahlt es sich aus, alleine zu sein 😉
Nach meinem Standard-Auspackritual gehe ich ins Dorf um mich umzusehen. Es regnet. Das würde auch nicht das letzte Mal sein, dass es hier regnet. Zum Abendessen bin ich in einem chinesisch angehauchten Restaurant. Ich trinke ein Bier und da setzt sich ein Pärchen neben mich hin. Heute möchte ich ein Gespräch anfangen denke ich, und das tue ich dann auch. Bevor ihr Essen serviert wird, sind wir schon fest in ein typisches Travellergespräch verwickelt. Das sieht so aus:
- Aus welchem Land kommst du?
- Wie lange bist du schon hier?
- Was hast du in diesem Land schon gesehen?
- Wo geht’s nachher hin?
- Wie lange wirst du noch reisen?
- Wo hat’s dir am besten gefallen?
Das sind so die typischen Gespräche, die man mit anderen Reisenden führt. Ich lerne Sharon und Tim aus Belgien kennen. Sie sprechen Niederländisch und Englisch. Wir verstehen uns auf Anhieb und die zwei sind supersympatisch. Morgen wollen sie auf einen Trek gehen. Spontan laden sie mich dazu ein und ich nehme dankend an. Ein zweites Paar würde auch mitkommen, sagen sie mir. Umso besser denke ich. Wenige Minuten später betritt das Niederländische Pärchen das Restaurant um sich kurz vorzustellen und ein paar Sachen zu regeln. Morgen um 08:00 Uhr soll‘s losgehen. Super Sache. Wir verabschieden uns und ich gehe schlafen.
Freitag, 21. April 2017: nach einem guten Frühstück beim Inder – wo es English Breakfast gab – begebe ich mich zum vereinbarten Treffpunkt. Als Schweizer bin ich natürlich pünktlich 😉
Fedde – nur wegen Roger Federer kann ich mir seinen Namen merken – und Yvonne gesellen sich nun auch zu mir.
Am Ende kommen Sharon und Tim. Nach einem kurzen Schwatz geht’s los. Tim und Fedde gehen voraus – ich habe von Anfang an klar gemacht, dass Kartenlesen und Orientierung nicht meine Stärken sind – und ich bilde die Rückendeckung, hahaha.
Nach einem kurzen Stück auf der Hauptstrasse finden die beiden Kartenleser die Abzweigung in den Wald. Der Weg wird schnell steil und es wird klar, dass dies kein Spaziergang werden würde. Der häufige Regen schwemmt oft die Erde unter den Bäumen weg und so werden die Wurzeln freigesetzt. Tim, der die Gruppe nun anführt hat ein gewaltiges Tempo drauf. Ich erinnere mich, wie ich damals den Pazolastock hochgerannt bin, doch irgendwie ist das hier anders. Tim ist fit. Er und seine Freundin Sharon haben praktisch einen Monat lang in Nepal getrekkt, bevor sie nach Malaysia kamen.
Dicht hinter Tim sind Fedde und seine Freundin Yvonne, die ebenfalls top fit zu sein scheinen. Ich entscheide mich als letzter zu gehen, da ich mich als so etwas wie der grosse Bruder der Truppe hier sehe 😉 Somit bilden Sharon und ich das Ende dieser Europäischen Cervelat *grins*. Sonnenstrahlen drängen durch den dichten Wald und als ein wenig Nebel aufzieht, ergibt sich eine wunderbare, mystische Stimmung.
Wir gehen weiter und erreichen nach einem abermaligen Aufstieg den Gipfel des Hügels. Von hier aus hat man ein wenig Aussicht.
Dann geht’s hinunter zu einem Chinesisch Buddhistischen Tempel, den wir uns kurz ansehen. Zeit fürs Mittagessen. Leider habe ich nicht wirklich viel eingepackt, da ich dachte, wir würden irgendwo an einem Stand etwas essen. OK, definitiv Fehlüberlegung. Aber meine Wanderfreunde lassen mich nicht verhungern und ich kann sogar mein Taschenmesser als Werkzeug beisteuern 😉 Es gibt Toast, anderes künstliches Brot und Milo Schokodrinks, die ich mitgebracht habe. Hier in den Highlands kommt der Regen meistens zwischen 13:00 und 14:00 Uhr. Wir wissen also, dass wir nass werden würden, wenn wir am Nachmittag auch unterwegs sein wollen.
Der Aufstieg, der unmittelbar nach dem Mittagessen mit dem einsetzenden Regen beginnt ist hart. Zwischen Wurzeln und Baumstämmen erkämpfen wir uns den Weg. Tim und Fedde wechseln sich nun mit der Führung der Gruppe ab, verlieren dabei jedoch nicht den hohen Takt. Es ist schweisstreibend und äusserst anstrengend. Immer wieder erblicke ich jedoch wunderschöne Szenerien im Wald. Wie kann man daran einfach vorbeilaufen, denke ich. Nach einer kurzen Strecke, die einigermassen „flach“ ist, kommt ein abartig steiler Aufstieg.
Es würde der steilste des Tages werden. Inzwischen regnet es aus vollen Kübeln und auch meine Regenjacke nützt nichts mehr. Der Hut ist schon lange klitschnass. Ich rufe Tim und Fedde zu, das Tempo zu drosseln, denn sie sind mittlerweile nicht mehr in Sichtweite.
Die Situation ist nicht ungefährlich.
Der Aufstieg auf den glitschigen Wurzeln und der nassen Erde ist riskant. Wenn man hier den Halt verliert kann es ganz schön weit runter gehen. Also sollte hier niemand alleine sein, weshalb ich immer hinter Sharon bleibe. Es ist mir egal wie oft sie sagt, dass ich nach vorne gehen soll, weil sie langsamer sei als ich. Hier wird keiner alleine gelassen und schon gar nicht bei diesen Bedingungen.
Auf dem Gunung Berembun – dem Gipfel eines der umliegenden Hügel – kommen wir schliesslich an. 1800m über Meer. Wir haben also einige Höhenmeter gemacht heute. Der Ausblick ist gleich null, da Nebel und Wolken die Sicht verdecken. Ein wenig enttäuscht sind wir schon. Doch Sharon hat anderes im Sinn: sie kriegt einen Videoanruf auf ihrem Handy. Eine gute Freundin von ihr hat soeben ein Baby gekriegt. Also lauschen wir alle, hehe. Nach den Glückwünschen und so weiter machen wir uns auf den Heimweg. Diesmal anstatt steil aufwärts, steil abwärts. Durch eine Erdbeerplantage erreichen wir schlussendlich Tanah Rata. Wir trinken gemeinsam einen Kaffee und verabreden uns dann zum Abendessen. Denn vorher will jeder von uns unbedingt noch duschen.
Die heisse Dusche ist ein Segen und fühlt sich herrrrrlich an.
Wir essen Japanisch / Koreanisch und ich erfahre, was „Kroket“ ist. Scheinbar etwas unheimlich beliebtes, dass man in den Niederlanden einfach kennt und sogar an Automaten beziehen kann. Hier die Definition:
„In den Niederlanden ist die Fleischkrokette (niederländisch: Vleeskroket, oft nur Kroket) ein beliebter Imbiss. Die Füllung besteht hier aus einem Ragout aus – teils fein gemahlenem – Fleisch mit Bouillon, Gewürzen, Kräutern, Butter und Mehl. Die kleinere, runde Form heißt Bitterballen und wird als Snack auch in niederländischen Kneipen konsumiert. Neben der Rundvleeskroket (Rindfleischkrokette) sind unter anderem auch Kroketten aus Kalbfleisch (Kalfskroket), mit Gulaschfüllung (Goulashkroket) oder mit einer Fleisch- und Erdnussfüllung (Satékroket) erhältlich. Relativ neu ist die Gemüsekrokette (Groentekroket) für Menschen, die sich fleischlos ernähren wollen.
Runde, flache Fleischkroketten werden in den Niederlanden auch bei McDonald’s unter dem Namen McKroket angeboten. Diese werden in einem Brötchen verkauft und mit Senf abgeschmeckt. In Deutschland werden Fleischkroketten bei der Fast-Food-Kette Kochlöffel mit verschiedenen Dips angeboten.“
Jaja, die Niederländer. Nach dem Essen geht’s ab ins Corner Bistro und Pub, wo es für mich ein frisch gezapftes, dunkles Stout gibt! Kein Guinness, aber dafür ein Connors Stout, das nach einem langen Wandertag ebenso gut schmeckt, hehe. Die Niederländer und Tim trinken Heineken, während die „bierfreie“ Sharon sich mit einem Blue Lagoon begnügt. Wir trinken, diskutieren, labern und lachen. Ein schöner Abschluss des Tages.
Wow, sage ich, als ich einmal mehr die wunderschönen Teeplantagen der Cameron Highlands sehe. Yvonne und Fedde sind abgereist. Mit den Belgiern sehe ich mir eine Teeplantage an und wir trinken dazu – wer hätte das gedacht – einen Tee. Viel mehr machen wir heute auch nicht, denn wir sind müde von der Tour gestern und vielleicht auch ein klein wenig vom flüssigen Abend 😉
Am Tag darauf gehen auch Sharon und Tim weiter und ich bin wieder alleine. Doch nicht lange, denn ich treffe Ciska. Eine Niederländerin, die alleine unterwegs ist. Wir tauschen uns beim Kaffeetrinken aus und philosophieren über das Reisen.
Einen Tag später geht dann auch Ciska und ich bin definitiv alleine, haha. Nicht schlecht, denn dann habe ich Zeit mich zu erholen und Filme zu gucken. Das habe ich auch nötig, denn ich kann die nächsten Nächte nicht mehr richtig schlafen. Gründe dafür gibt es vermutlich tausende, aber einige kristallisieren sich heraus: die Familie mit den unendlich lauten Kindern, die immer erst so um 23:30 Uhr oder später ins Gasthaus kommt?
Oder doch die sogenannte „Matratze“, die sich eher wie ein Brückenbauelement anfühlt?
Oder der Masala Tee, den man nicht vor dem Schlafengehen trinken sollte? Oder die staubige Bettdecke, die mich hundertausendmal niessen lässt? Oder alles zusammen? Keine Ahnung. Ich bin nur wütend und frustriert als ich auf die Uhr schaue und es 06:00 Uhr morgens ist und ich keine Stunde geschlafen habe.
Ich liege auf dem Sofa im Aufenthaltsraum und da gesellt sich Sharan neben mich. Er ist Inder – also von der ethnischen Herkunft – und wohnt in Kuala Lumpur. Er ist hier um seine Freundin und ihre Familie zu treffen, die Chinesen – von der ethnischen Herkunft her – sind. Das ist Malaysia. Ich staune immer wieder. Hier kann tatsächlich ein Inder mit einer Chinesin zusammen sein und es ist ok. Er berichtet mir nur, dass wenn er mit seiner Freundin unterwegs ist, sie ab und zu ein bisschen schräg angeguckt werden, aber wirklich harmlos versichert er mir. Ich sehe hier Läden, in denen Inderinnen zusammen mit kopftuchtragenden Malaiinnen arbeiten.
„Darauf sind wir stolz.“
sagt Sharan. „Wir sind alle Malaysier.“ Ich finde, das sollten sie auch sein, denn das ist doch ein wunderbares Beispiel für friedliches, interethnisches und interreligiöses Zusammenleben! Und dies alles unter dem Islam als Staatsreligion. „Wir sprechen alle mindestens 3 Sprachen.“, fährt er fort.
- Bahasa Malaysia, die offizielle Landessprache
- Englisch
- und meistens die Sprache der ethnischen Herkunft: also entweder Tamil (für die Inder), Kantonesisch, Mandarin oder sonst ein chinesischer Dialekt (für die Chinesen) oder eine der Malaiischen Stammessprachen (für die Malaien)
Eigentlich wollte ich mir einen Film ansehen, doch das Gespräch ist weitaus interessanter und so plaudern wir einige Stunden, bis ich auf mein Zimmer gehe.
Bei dem Regenwetter habe ich einfach keine Lust mehr nach draussen zu gehen. Ausser heute, wo ich einen kleinen Spaziergang durch den Wald unternehme.
Nun sitze ich in meinem Einzelzimmer – nicht in meiner Einzelzelle wohlbemerkt – und schreibe das. Heute konnte ich mich endlich, nach fast ewigem hin- und her entscheiden, wohin ich als nächstes gehen will. Georgetown auf der Insel Penang soll es sein. Nicht zuletzt, weil Sharan es mir empfohlen hat.
„Penang ist Malaysia im Miniaturformat. Du kannst nicht sagen, dass du Malaysia besucht hast, wenn du nicht auf Penang warst.“
versichert er mir. In einigen Tagen werde ich wissen, ob dies eine masslose Übertreibung oder doch ein bisschen Wahrheit ist 😉