Zweite Chance für Singapur

Zweite Chance für Singapur

Ich stehe vor dem Boardingschalter der Indian Airlines am Flughafen in Chennai und warte. Soeben hat es über Lautsprecher geheissen, dass das Boarding von Gate C nach Gate A verschoben wurde. Gate C mussten die Inder und ich den Russen überlassen, die nach Samara flogen. Ich habe immer noch das Bild des etwa 12 Jährigen Mädchens im Kopf, das Hotpants trug. Unglaublich in diesem Alter, aber wenn Mami und Papi nichts sagen, haha.

Hinter mir kommt eine Indische Frau mit einem Jungen auf den Schalter zu. Ich mache mich wichtig und sage: „Boarding Pass, please.“ und beide beginnen zu lachen. Doch das mit dem Boarding scheint noch ein wenig länger zu dauern, also nehme ich Platz. Die Russen sind wichtiger.

Als wir dann durchs Gate gehen und die abgeschrägten Gehwege hinunterlaufen, staune ich nicht schlecht als ich einen – für mich zumindest – nagelneuen Dreamliner der Indian Airlines sehe. Eine Boeing 787-800er.

Alles sehr modern an Bord und ein überaus freundlicher Service. Ich habe einen Fensterplatz. Doch die Fenster sind hier so blau. Was ist das? Irgendein Dämmungssystem, denn es kommt nicht das volle Licht der Sonne hindurch und irgendwie scheint die Crew das auch noch steuern zu können. Naja, noch nie gesehen. Es handelt sich um eine Neuerung, die in der Boeing 787 verfügbar ist.

Wir heben ab und die erste Stunde des Fluges mache ich mir nichts anderes als Gedanken über einen Absturz. Ich fliege sehr gerne, ich mag es wirklich. Am liebsten über Land. Doch hier hatten wir die ca. 4 Stündige Strecke über praktisch ausschliesslich den Golf von Bengalen unter uns. Es gibt Tage da habe ich einfach furchtbare Angst in einem Flugzeug zu sitzen, welches ins Wasser stürzt – aus welchen Gründen auch immer – und nicht komplett zerschellt und dabei in Sekundenschnelle alle Insassen umbringt, sondern eine erfolgreiche Notwasserung hinlegt und dann langsam sinkt.

Würde ich noch genug Zeit haben auszusteigen? Würde die Panik an Bord so gross sein, dass die Ausgänge versperrt wären?

Komische Fragen, denn die Antwort darauf würde ich in den entsprechenden Momenten erhalten. Also wozu sich diese Fragen stellen, wenn ich nicht mal weiss, ob ich je eine Antwort darauf bekommen werde. Genug von meiner gelegentlichen Absturzpanik.

Beim Landeanflug auf Singapur geht gerade die Sonne unter. Ein prächtiger Anblick auf die entfernte Skyline der Stadt offenbart sich und über dem breiten, orangeroten Streifen klaren Himmels erstreckt sich eine grauschwarze Wolkendecke. Eine wundervolle Aussicht.

Singapur ist so wundervoll einfach zu besuchen: die MRT (Mass Rapid Transport – die U-Bahn) ist praktisch mit der ganzen Stadt verbunden. So auch mit dem Flughafen. Ich gehe zur Station, kaufe mir einen Tourist Pass und bekomme das Kreditkartengrosse Kärtchen ausgehändigt. Einmal beim Eingang zur U-Bahn an den Kartenleser halten und gut ist. Nach mir steigt ein westlich aussehender jüngerer Mann in den Zug. Er trägt ebenfalls einen grossen Backpacker Rucksack mit sich und scheint sich nicht ganz sicher zu sein, ob er im richtigen Zug ist.

Mit seinem i-Pad versucht er es herauszufinden. Wir kommen ins Gespräch. Es geht los vom Changi Airport zur ersten MRT Kreuzung, wo der Chilene und ich umsteigen müssen um zu unseren Endstationen, die nicht weit voneinander entfernt liegen, zu kommen. Lustigerweise kommt er vom Malayischen Festland her nach Singapur, da wo ich nach meinem Besuch der Stadt hin möchte.

Als Englischlehrer in Vietnam hat er sich während ein paar Wochen einen kleinen Zustupf in seine Reisekasse verdient. 25 US-Dollar pro Stunde klingt nicht schlecht! Das Essen in Vietnam und Nordthailand hat ihm bisher am besten geschmeckt und nach Singapur, wo er sich die günstigste Unterkunft gesucht hat, geht’s für ihn weiter nach Bali. Ich habe mir jedenfalls nicht die günstigste Unterkunft gesucht, nein. Nach den ganzen Strapazen in Indien will ich mir jetzt ein wenig Luxus gönnen!  Das Village Hotel im Stadtbezirk Bugis wartet mit einem Aussenpool, grossen, luxuriösen Zimmern und vielen kleinen Annehmlichkeiten auf, wie zum Beispiel einem Bügeleisen auf den Zimmern….ja, genau! 😉

Wenn ich an einem neuen Ort ankomme ziehe ich meistens mein Standard Ritual durch: einchecken, aufs Zimmer, Sachen am richtigen Ort verstauen – Necessaire ins Badezimmer, Wäschenetz auf den Boden, Mückenschutzstecker installieren, WLan Verbindung einrichten, Badeschlarpen vors Badezimmer, Kleider an einen praktischen Ort – und dann nach Draussen um die Hotelumgebung kurz zu erkunden. Direkt vor dem Hoteleingang hat‘s einen 7-Eleven, jipppiiieee! 7-Eleven ist eine internationale Ladenkette mit Convenience stores, die praktisch rund um die Uhr geöffnet sind und allerlei Junk food, Kaffee, Alkohol, Zigaretten und gekühlte Produkte anbieten.

So was hab ich in Indien sooooo was von vermisssst.

Neben dem Hotel ist auch eine Moschee, die sich direkt im Arabischen Viertel befinded. Dort gibt’s Libanesische und andere Arabische Küche. So kommt’s dass ich ein paar Minuten später an einem Tisch vor einem türkisch angehauchten Lokal mit Blick auf die Moschee Hummus zum Abendessen speise. Das zeigt, wie vielseitig und international Singapur ist. Hier leben vor allem Chinesen, Inder und Malaien. Doch auch tausende von Europäern und Asiaten aus anderen Ländern arbeiten und wohnen hier. Ein buntes Gemisch aus Buddhisten, Muslimen, Hindhus, Christen und vielen mehr. Ein Kumpel von mir hat hier ein Jahr lang auf der Schweizer Botschaft gearbeitet und mir schon vor meinem letzten Besuch in Singapur ein paar Lokalitäten und Orte empfohlen. Das letzte Mal war ich im Februar 2016 mit Döme hier, doch wir hatten nur einen Nachmittag Zeit für die Stadt, da unser Flug zurück in die Schweiz am selben Abend ging. Damals war ich nicht offen genug für die Stadt und sowieso deprimiert, da ich Asien verlassen musste und wieder eine 7 Stündige Zeitdifferenz zwischen Lim und mir sein würde.

Dieses Mal ist es ganz anders! Singapur ist modern, exzellent vernetzt, die Menschen sprechen Englisch, niemand ist aufdringlich, kein Gedränge, kein Gehupe hier, praktisch keine Verschmutzung, es ist herrrlich! Ein riesiger Kontrast zum vergangenen Monat in Indien.

Der Mittwochmorgen beginnt mit einem Junk food Frühstück im 7-Eleven. Das Frühstück im Hotel für 18 Singapur Dollar wollte ich mir nicht leisten. Übrigens: 1 Singapur Dollar ist ca. 70 Rappen. Einen Schockodrink, ein Kaffee und zwei mit Konservierungsstoffen vollgepumpte Brötchen für 7 Dollar bitte, danke.

Ich laufe durch die Strassen, es regnet. Neben einem Reinigungsfachmann, der gerade Pause macht, setze ich mich auf den Boden und geniesse mein Frühstück. Erster Stopp für heute ist das Nationalmuseum. Da ich noch sehr viel Zeit habe, bis dieses um 10:00 Uhr öffnen würde, entschied ich mich dort hin zu laufen. Nach wenigen hundert Metern merkte ich, dass die Luftfeuchtigkeit hier um einiges höher ist, als in Zentralindien. Ca. um die 80%. Ich schwitze und bin schon erschöpft.

Das Nationalmuseum ist wunderbar interessant gestaltet und erzählt anhand von Ausstellungsstücken, Fotos, digitalen Inhalten und Audioaufzeichnungen die Geschichte Singapurs von der ersten Besiedelung bis heute.

Das Land hat eine sehr spannende Geschichte hinter sich und ist in vielerlei Hinsicht einfach nur zu bewundern. Dieser Ort ist ein Beispiel für ein friedliches Zusammenleben zwischen verschiedenen Völkern und Religionen. Natürlich haben die Engländer auch ihren Teil dazu beigetragen, als sie im 19. Jahrhundert massenweise Land aufschütten und einen der grössten Handelsplätze in Asien schaffen liessen.

Das Motto des Landes ist: Vorwärts, Singapur! Das durchschnittliche Jahreseinkommen ist hier höher als das in der Schweiz. Es herrscht Wohlstand und über 126 verschiedene Banken sitzen hier, von welchen 121 ausländische sind. Das durchschnittliche Jahreseinkommen lag 1960 bei 1‘310 SGD pro Person. 2014 waren es 71‘318. Eine massive Steigerung in den letzten 54 Jahren um 5‘444%! Auch der Devisenhandel floriert. So wurden 2014 Devisen in der Höhe von 291 Milliarden US-Dollar gehandelt und das jeden Tag! Auch mit Gütern wird fleissig gehandelt und so kommt oder geht alle 2-3 Minuten ein Schiff in den Hafen von Singapur, wo fast 34 Millionen 20-Fuss Container schon durchgelaufen sind. Für alle die schon mal einen 20-Fuss Container von innen gesehen haben: das ist schon eine ganze Menge, was? 😉

Nach diesen interessanten Zahlen und Fakten, die ich aus dem Nationalmuseum habe, geht’s weiter  nach Chinatown, dem alten chinesischen Bezirk der Stadt. Hier stehen noch alte Häuser und kleine Läden, die im Hintergrund von Hochhäusern überthront werden. In einem grossen Shopping Komplex esse ich Ente mit Nudeln an einem der vielen Essensstände.

Hier scheint man sich zum Mittagessen zu treffen und zu diskutieren. Hunderte Tische und Stühle stehen da um welche herum dutzende kleiner Imbissläden mit allerlei Leckerem aufwarten.

Nach dem Mittagessen besuche ich den sehr schönen Buddha Tooth Relic Tempel. Ja, das ist ein Tempel wo ein Zahn vom ersten Buddha (Sidharta) aufbewahrt werden soll. Den Zahn kann man nicht anschauen, dafür aber die hunderten betenden Gläubigen, die sich im Tempel versammeln. Einige Priester in der vordersten Reihe lesen die Gebete vor und alle die hinten sitzen reden sie nach oder lesen sie selbst in ihren Büchern.

Ich habe die Gläubigen beobachtet und irgendwie kam es mir so vor, als ob einige von ihnen nicht wirklich wussten, von welcher Seite aus dem Buch die Priester gerade vorbeteten. Da ihre Finger mit denen sie den chinesischen Zeichen in den Büchern folgten immer mal wieder an einen anderen Ort sprangen oder plötzlich wieder eine Seite vor- oder zurückgeblättert wurde.

Viele buddhistische Tempel habe ich mir schon angesehen in meinem Leben und dieser hier war auch schön. Doch gerade weil ich schon so viele davon gesehen habe, wollte ich nicht viel Zeit in ihm verbringen, da ich nicht das Gefühl hatte das es hier etwas gibt, dass es nirgendwo sonst auf der Welt gibt. Ich schwitze und bin erschöpft von ganzen Laufen und Sachen angucken. Konsequenz: zurück ins Hotel und den Pool ausprobieren =)

Er ist herrlich kühl und es ist sooo entspannend darin zu baden. Ich scheine der einzige Gast mit der glorreichen Idee gewesen zu sein. Auch ein kühles Bier könnte ich mir gönnen, doch ich hab keine Lust. Ein bisschen Sonnenbaden, Musik hören und schlafen.

Alles gleichzeitig notabene: ich bin eben ein Multitasker *grins*

Als die Sonne langsam untergeht, mache ich mich auf den Weg in die Stadt. Ich möchte die Marina Bay wieder sehen. Das ist eine Bucht im Herzen von Singapur um welche hunderte von Hotels und Bars angesiedelt sind. Unter anderen auch das Marina Bay Sands. Das extravagante Gebäude auf dessen drei Türmen ein gewaltiges Schiff liegt. Links davon der Singapore Flyer, ein Riesenrad.

Hinter mir die gewaltigen Bürogebäude der Maybank, der UBS und weiterer Banken. Das historische Fullerton Hotel und vor all ihnen der Merlion. Eine Löwenstatue, die Wohlstand und Glück in Form von Wasser aus ihrem Mund in die Marina Bay spuckt. Hier sind hunderte von Leuten, die im Sekundentakt Fotos und Selfies zu machen scheinen. Von ihnen selbst vor dem Merlion und der Skyline.

Doch das hier ist nicht Indien: niemand will ein Selfie mit mir! Bin ich seit mich Döme verlassen hat dermassen hässlich geworden? Hahaha.

Das ist halt Singapur hier, und nicht Indien. Hier sehen die Menschen jeden Tag Europäer oder Amerikaner oder sonst welche Bleichgesichter 😉 Sie leben und arbeiten mit ihnen. Also bin ich nichts Spezielles mehr. Obwohl ich ja eigentlich eine sehr berühmte Person bin. Ob die schon mal was von „Eine Geschichte aus Triengen“ gehört haben? Ob der Film wohl in einem der Multiplexkinos hier zu sehen war vor 10 Jahren?

Keine weiteren Gedanken darüber. Ich habe Hunger. In einer Bar wird mir die Happy Hour aufgenötigt und ich bekomme zwei grosse Bier zum Preis von einem. Da es so heiss ist – sogar jetzt wo die Sonne verschwunden ist – muss ich das Bier schnell trinken, dass es auch kalt bleibt. Zwei Singapurer oder Chinesen sitzen neben mir und sprechen wahlweise Chinesisch oder Englisch.

Naja, vielleicht wars auch Koreanisch oder Japanisch oder sonst eine Sprache, die ich nicht verstehe. Egal.

Der Burger und die Fritten sind bestellt und ich beschäftige mich mit dem Bier. Auch hier, wie in praktisch jedem Lokal gibt’s kostenloses Wifi. Ich kann mit Lim ein bisschen texten und ihm von meinem Tag berichten. Endlich gibt es keine Zeitdifferenz mehr zwischen uns, yeey!

Das Bier habe ich schnell geschafft, doch in Wahrheit hat es mich geschafft. Keine gute Idee praktisch einen Liter Bier in hungrigem Zustand und dieser Hitze im Eiltempo runter zu schlucken. Mein Kopf würde es mir dann später noch sagen. Der Burger war super und als die Rechnung kam, staunte ich nicht schlecht: 47 SGD für zwei Bier und einen Burger mit Pommes. Naja….Singapur eben.

Ich mache mich zum Merlion auf um die Skyline und die ganze Szenerie bei Nacht zu fotografieren. Mit meinem supergeilen Mini Stativ ausgerüstet kommts gut. Ich befestige das Stativ an einem Geländer, stelle die Belichtung auf 20 Sekunden ein, wähle den Ausschnitt, fokussiere und drücke ab. Zwei Sekunden später kommt der Selbstauslöser und die Belichtung beginnt für 20 Sekunden. Doch was passiert: die Selfie-isten posieren am Geländer herum und jede Bewegung der Kamera während der Beleuchtung macht das Bild zur Sauuu….vielen Dank, denke ich. Doch Zwischenzeitlich habe ich auch Glück und es gelingt mir ein Foto, ohne dass jemand das Geländer merklich berührt.

Nach der ganzen Knipserei mache ich mich zur MRT auf und ab geht’s ins Hotel. Dort fängt mein Kopf an zu schmerzen, dank des schnellen Biertrinkens. Naja, noch ein bisschen mit Lim chatten und dann ab ins Bett.

Der zweite Tag in Singapur ist nicht besonders speziell. Frühstück im Seven Eleven, dann ab zu den Gardens by the Bay. Das ist im Prinzip ein riesiger, grüner Park mit allerlei Pflanzen, Anlagen und Gewächshäusern. In einem davon wird die Umgebung im Regenwald simuliert, in einem anderen die in der Wüste und so weiter. Ich bin nicht fasziniert und deshalb gehe ich nach einem kurzen Spaziergang wieder zur MRT.

Das Asian Civilisations Museum ist zwar interessant, aber bei weitem nicht so spannend gestaltet wie das Nationalmuseum. Ich schlendere in ein bisschen in den Strassen herum. Wie ein Schlendrian. Im Arabischen Viertel gönne ich mir eine Fussmassage. Am Abend berücksichtige ich dann den Tipp meines Kumpels und mache mich auf den Weg zum Level33, einer Bierbrauerei und Restaurant im 33. Stock der Marina Bay Financial Towers. Das Bier ist gut, das Essen herrlich. Es ist voll, die meisten Gäste scheinen Expats oder Touristen zu sein. Die Aussicht auf die Marina Bay von hier ist wunderbar. Ich nehme mein Ministativ und lege los.

Allah sei Dank konnte ich noch zwei Fotos machen, bevor ich darauf aufmerksam gemacht werde, dass ich die Kamera nicht auf das Vordach stellen dürfe, denn wenn sie herunterfalle und jemanden träfe, wäre das Restaurant verantwortlich.

Was soll der Blödsinn denke ich, bevor es mir durch den Kopf schiesst, dass ich auch nicht gerne bei einem Spaziergang entlang der Bay von einer Kamera aus dem 33. Stock kommend erschlagen werden möchte. Naja.

Trotzdem ein schöner letzter Abend in Singapur. Denn Morgen geht’s weiter nach Melaka in Malaysia.

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