Abenteuerliche Wege

Abenteuerliche Wege

Die Sonne brennt uns auf die Köpfe. Sie hat eine wahnsinnige Kraft, doch auch sie vermag die dunstige, staubige Luft, die derzeit Nepals Himmel heimsucht nicht ganz zu durchdringen.

Shanty, Guillome und ich sind noch nicht lange unterwegs. Ich hatte die beiden im Rahmen eines Meditationskurses in Pokhara kennengelernt. Ich wollte unbedingt einen Trek machen und der aus Frankreich stammende Guillome fragte mich, ob er mich begleiten dürfe. Natürlich durfte er und wenig später hatte sich auch die niederländische Shanty gemeldet.

Hoch in die Berge wollte ich nicht, da ich sowieso nicht die passende Ausrüstung dabei hatte und die Sicht dermassen beschränkt ist. Wir einigten uns auf den Royal Trek. Prinz Charles aus dem Vereinigten Königreich von Großbritannien wanderte auf diesem Weg im Jahr 1980 entlang, zusammen mit einem Gefolge von 90 Personen, Campingbegeisterten und Begleitmannschaften. Daher der Name.

Wir drei haben nicht viel dabei und vor allem trägt niemand unser Gepäck – mal abgesehen von uns. In unseren Rucksäcken ist nur Wasser, ein paar Kleider, persönliche Utensilien, eine Karte und natürlich ein bisschen Proviant.

Auf dem lokalen Markt in Budhi Bajar, unserem Startpunkt, hatten wir kurz ein paar Bananen, Chips und ein wenig Junk Food gekauft.

Wir marschieren durchs Hinterland. Nur noch wenige Häuser sehen wir. Kontinuierlich geht die Strasse nach oben. Asphaltiert ist sie schon lange nicht mehr. Wir treffen auf einen Bauern. Auf seinem Rücken trägt er einen grossen Sack. Guillome möchte wissen, was sich darin befindet. Es ist Honig. Nach einigem hin- und her willigt er ein uns ein wenig davon zu verkaufen. Wir füllen ihn in eine leere Pet Flasche ab, bedanken uns und gehen weiter.

Nach ein paar Stunden kommen wir im kleinen Ort Kalikasthan an, wo wir entschliessen unser mitgebrachtes Mittagessen zu uns zu nehmen.

Dorfleben: die Kids steigen in Schuluniformen aus dem Bus, eine Frau wäscht Kleider in einem Kessel, Ochsen trinken und baden in einem Wasserbecken.

Wir tun uns schwer nach dem Essen aufzustehen, schaffen es dann allerdings doch. Guillome ist unser Kartenexperte. Er arbeitet seit einiger Zeit in Indien und macht hier in Nepal Ferien. Über kleine Wege geht es für uns weiter durch die hügelige Landschaft. Immer wieder denke ich mir, wie schön es doch wäre, wenn die Luft klarer wäre. Wir würden bestimmt das Annapurna Bergmassiv mit seinen hohen Gipfeln und dem Schnee sehen. Doch dieser Anblick blieb mir während meines gesamten Aufenthalts in Nepal verwehrt.

Einen kurzen Teil der Strecke legen wir mit einem Bus zurück, da wir uns nicht sicher sind, ob wir das  nächste Dorf zu Fuss erreichen können und sowieso immer wieder irgendwelchen Fahrzeugen platz machen müssen, deren Fahrer sie die katastrophale Strasse hochquälen.

Im Bus laufen lautstark Indische oder Nepalesische Musikvideos. Die Stimmung steigt, hehe.

Nach etwa 20 Minuten steigen wir aus und gehen weiter. Die Sonne neigt sich bereits von uns ab, als eine Gruppe Schulmädchen uns auf dem Weg folgt. Sie sind sehr interessiert und versuchen mit uns ins Gespräch zu kommen. Ihre Sprachkenntnisse in Englisch entwickeln sich derzeit noch, hehe.

Ein älterer Mann kommt uns entgegen und erkundigt sich nach unseren Plänen. Offensichtlich kennt er die Mädchen. Wie sich später noch herausstellen wird, ist er einer der Lehrer an einer Schule in der Gegend. Als er hört, dass wir noch keine Unterkunft für die kommende Nacht haben, entschliesst er kurzerhand, dass wir mit einem der Mädchen aus der Gruppe mitgehen sollen.

Ihre Familie habe ein Haus, wo wir übernachten können.

Das hört sich ja sagenhaft an, denken wir. Allerdings sind wir uns nicht sicher, was die Familie dazu meinen wird. In gutem Glauben lassen wir uns darauf ein und gehen den Weg mit den Mädchen. Einen sehr langen Schulweg haben sie. Von dem Punkt an, wo wir sie getroffen haben, laufen wir bestimmt noch drei bis vier Kilometer.

Wir kommen vom kleinen Weg ab und es geht steil hinauf. Inmitten von Feldern in einem steilen Hang finden wir uns wieder. Dort erblicke ich auch die Häuser der Menschen, die hier oben leben. Es scheint sich um eine kleine Gemeinschaft zu handeln. Nun werden wir von allen begrüsst und dürfen uns vorstellen. Ein paar der Mädchen wohnen hier.

Ich habe keine Ahnung wo wir genau übernachten würden und ob wir schon da waren. Ich konnte mir nur merken, mit welchem der Mädchen wir mitgehen sollen. Shanty und ich machen einige Fotos. Guillome spricht mit den Menschen.

Nach einigen Momenten wird uns klar, dass wir noch nicht ganz am Ziel sind. Das Mädchen deutet uns, ihr zu folgen und wir verabschieden uns von den anderen Menschen. Ein kurzer Marsch führt uns schlussendlich zu einem recht grossen, aus Natur- und Sandsteinen gebauten Haus. Inzwischen ist die Sonne schon so gut wie verschwunden.

Wir finden hier die Familie des Mädchens vor. Ihren kleinen Bruder, ihre Mutter, die schwanger ist und einen Neffen oder Cousin der Familie – ich habe den Zusammenhang nicht verstanden, hehe. Wo der Vater ist? Derzeit in Dubai beim Arbeiten. Von dort aus schickt er Geld nach Hause, um die Familie ernähren zu können. Wir vergewissern uns kurz, ob wir tatsächlich hier übernachten dürfen. Dann macht sich der Hunger breit, denn wir haben seit dem Mittagessen nichts mehr gehabt.

Nicht schlecht staunen wir als die beiden jüngsten der Familie – der ca. 8 Jahre alte Junge und seine Schwester – ein Huhn aus dem Käfig holen, ein Messer nehmen und ihm den Kopf abschneiden.

Guillome und er entfiedern es anschliessend. Shanty, das Schulmädchen und die Mama schnippeln unterdessen Ingwer und Knoblauch. Es wird gekocht und endlich können wir etwas essen. Ich bin sehr froh, denn mein Magen knurrte sehr.

Nach dem Essen quatschen wir noch ein wenig und es gibt Tee. Irgendwo ist es uns nirgends recht, dass die schwangere Frau uns bewirten muss und kurzerhand kommen wir zur ewigen Diskussion:

Wieviel Gastfreundschaft darf man annehmen und was wird als Gegenleistung verlangt?

Heute würden wir alle im zweiten Stock schlafen. Shanty redet der schwangeren Frau ihr Vorhaben am Boden zu schlafen schnell aus. Sie wird mit ihrer Tochter in einem der zwei Betten schlafen. Shanty im anderen. Guillome, der kleine Bruder, der Neffe und ich begnügen uns mit dem Boden.

Doch bevor Shanty überhaupt den Raum betretten konnte, musste ich ihn für sie nach Spinnen absuchen. Sie hat eine panische Angst vor den Achtbeinern, hehe. So durfte ich auch bereits vor einigen Stunden die Toilette, welche sich selbstverständlich ausserhalb des Hauses befindet untersuchen. Natürlich waren da ein paar tote Spinen und vermutlich einige mehr lebendige, doch sie würde es überleben.

Dass wir uns Sorgen wegen der Spinnen machten, erschien uns am nächsten Morgen lächerlich, wie sich zeigte, doch dazu später.

Hundemüde bin ich, als ich mich auf den Boden lege. Mir ist es egal, wie hart er ist. Hauptsache ich habe eine Decke und ich kann schlafen. Die Nacht verläuft ruhig, bis auf die Schnarcherei von Kenan, dem Neffen.

Kühl ist es am Morgen. Ich möchte nicht mehr daliegen und stehe deshalb auf. Nach Draussen will ich, an die frische Luft und sehen, was es zu sehen gibt. Es ist 06:30 Uhr und die Sonne ist schon aufgegangen. Ihre Strahlen können die dichte, von Staub erfüllte Luft kaum durchdringen. Wieder wird mir klar, wie beschränkt die Sicht im Lande derzeit ist. Nichts desto trotz gefällt mir der Anblick.

Es ist friedlich und sehr ruhig. Die anderen schlafen praktisch alle noch. Nur die Kinder sind auf um ihre Hausaufgaben zu erledigen.

Dann plötzlich ein Aufschrei! Im zweiten Stock. Was ist los? Kenan rennt nach oben und die Mutter aus dem Zimmer.

Schnell wird klar, was es ist: eine Schlange befindet sich im Schlafzimmer.

Ich gehe nach oben um sie zu fotografieren. Später stelle ich mir die Frage, ob sie wohl schon da war, als wir geschlafen hatten. Die Antwort möchte ich lieber nicht kennen.

Shanty beschäftigt sich mit dem Kind eines Nachbarn, während die Gastgeberin das Frühstück zubereitet. Über offenem Feuer wird Tee gekocht. Es ist eine sehr simple Lebensweise, die die Familie hier führt. Es ist beeindruckend und regt mich zum nachdenken an.

Guillome zeigt dem Jüngsten ein paar Joga Techniken. Später packen wir unsere Sachen und bereiten die Abreise vor. Mir fällt der Part zu, der Gastgeberin unser Dankeschön in Form einer kleinen Zuwendung zu überreichen. Lange hatten wir über die Höhe des Betrages diskutiert. Schlussendlich darf ich ihr 1500 Nepalesische Rupien geben. Das sind ca. 13CHF.

So wenig? Das mag man denken. Allerdings ist es eine schwierige Gratwanderung zwischen wir möchten niemanden beleidigen, indem wir etwas für die Gastfreundschaft bezahlen und wir möchten niemanden beleidigen, indem wir mit Geld um uns werfen. Dies hat unter anderem auch mit Nachhaltigkeit und einem Weltbild zu tun, welches wir nicht vermitteln möchten.

Man soll Europäer, obwohl der Durchschnitt mehr Geld besitzt als der Durchschnitt hier in Nepal, nicht als wandelnde Portemonnaies betrachten.

Das ist meine Meinung. Ich bin gerne bereit – auf Grund der unterschiedlichen Verhältnisse – ein wenig mehr zu bezahlen oder zu geben. Aber nicht viel mehr. Wir hielten 1500 Rupien für einen fairen, nicht beleidigenden Preis.

Nach einer freundlichen Verabschiedung machen wir uns wieder zu Fuss auf den Weg. Es geht auf und ab. An die genaue Strecke erinnere ich mich nicht mehr.

Heiss ist es. Nicht nur in Bezug auf das Wetter sondern auch in Bezug auf die Stimmung: Shanty und Guillome liefern sich immer wieder Wortgefechte.

Da Shanty Medizin studiert und Ärztin werden will, steht sie oft vehement für die wissenschaftliche Sicht der Dinge ein. Guillome auf der anderen Seite ist sehr alternativ und spirituell orientiert. Durch Joga, Meditation und seine persönliche Erfahrung, hat er sein Weltbild geändert.

Das Thema: Depressionen und die unterschiedlichen Versuche sie zu heilen. Beide haben dasselbe Ziel, doch wie man zu ihm kommt, da gehen die Meinungen des Franzosen und der Niederländerin auseinander. Ich sehe mich dabei als Zuhörer und gelegentlich als eine Art Moderator.

Ehrlich gesagt: wenn ich nicht da gewesen wäre, wären die beiden vermutlich getrennte Wege gegangen, hehe.

Ich sagte, dass ich mich nicht mehr an den genauen Verlauf der Route erinnere, was ich allerdings weiss ist, dass wir am Nachmittag in Chisapani angekommen sind. Auch dieser Ort ist sehr klein. Wir folgen verschiedenen Wegweisern, die auf eine Unterkunft hinweisen. Doch nachdem wir sie gefunden haben, stellen wir fest, dass das Tor verschlossen ist und niemand da zu sein scheint.

Wir finden eine Art Dorfzentrum und erkundigen uns dort nach Übernachtungsmöglichkeiten. Nach einigem hin und her wird klar, dass der Besitzer eines kleinen Ladens, jemanden kennt, der einen Schlüssel zur Unterkunft, bei der wir vorhin waren, hat. Er ruft ihn an und einige Zeit später kommt tatsächlich jemand und öffnet uns die Tore zur Unterkunft. Er kommt mit uns herein und zeigt uns die Anlage.

Sie ist bestenfalls total heruntergekommen, wenn sie denn jemals oben war, haha. Sie erinnert mich mehr an die Gebäude einer militärischen Häuserkampfanlage oder eine Kaserne. Der zweite Stock wurde offensichtlich nie gebaut, dennoch führen Treppen nach oben. Draussen liegt Abfall herum, doch die Zimmer haben Betten und Decken. Es gibt eine Dusche und eine Art Aufenthaltsraum mit einem Billardtisch.

Der Typ will nur kurz das Geld für die Übernachtung einkassieren und übergibt uns dann alle Schlüssel. Wir haben nun das ganze Gebäude für uns alleine, unglaublich.

Unten im Dorfzentrum besorgen wir uns etwas zu Essen. Restaurants gibt’s da nicht wirklich. Jemand erklärt sich bereit ein paar Fertignudeln für uns zu kochen, damit wir nicht verhungern müssen. Ja, heir sind wir sehr, sehr  weit von touristischen Pfaden. Es ist einzigartig.

Wir drei setzen uns auf die Veranda unseres Hostels und geniessen die Abendstimmung. Guillome öffnet eine Flasche mit Schnapps und wir trinken.

Ich bin zwar müde, fühle mich jedoch sehr gut. Was ich hier erlebe ist so einzigartig und anders. Bevor ich mich schlafen lege muss ich natürlich noch die riesige Spinne entdecken, die sich an der Decke über meinem Bett befindet. Sie hat einen Durchmesser von ca. 15cm. Bleib da oben, denke ich mir.

Ich schlafe ein und natürlich wache ich mitten in der Nacht auf um festzustellen, dass die Spinne nicht mehr da ist.

Mit meiner Taschenlampe suche ich kurz die Wände ab. Ich sehe sie nicht mehr. Toll, denke ich. Als ich dich noch gesehen hab, war mir wohler. Trotzdem schlief ich ein.

Wir sitzen beim Frühstück. Wieder sind wir im selben Laden, wo wir gestern das Abendessen hatten. Es gibt – wer hätte das gedacht – Nudeln. Guillome schält eine Ingwerwurzel und mit Wasser und ein wenig von unserem mitgebrachten Honig versüsst, ergibt das einen wunderbaren Tee.

Viele Leute im Dorf sind auf und gehen ihren Beschäftigungen nach. Eine Frau pflegt das Haar eines Mädchends, eine andere wascht Wäsche. Bevor wir aufbrechen, wollen wir uns nach dem Weiterweg erkundigen. Da wir bereits in Chisapani sind, wo der Royal Trek eigentlich aufhört, möchten wir zu einem der beiden Seen, die hier ganz in der Nähe sind. Der Rupa See und der Begnas See.

Der Weg geht nach unten. Sanft steigen wir ab. Shanty und Guillome sind wieder mal am streiten und ich nehme einen Schluck Wasser. Wir passieren Rupakot und nach einiger Zeit erblicken wir den Talboden. Dort sind viele Felder angelegt und Büffel grasen.

Wir erreichen flaches Terrain und sehen uns nach etwas essbarem um. Leider finden wir in diesem kleinen Ort keine Möglichkeit etwas zu Essen. Zwar sind da ein paar Schilder, die auf Restaurants hindeuten, doch die sehen geschlossen aus.

Als wir so weiter gehen, müde und hungrig, realisieren wir, dass wir jetzt am südlichen Ende des Rupa Sees sind. Eigentlich wollten wir zwischen die beiden Seen. Jetzt liegen beide nördlich von uns. Wir begeben uns zur Talmitte und versuchen herauszufinden, wie wir am besten zu unserem Ziel kommen. Nach einigen Gesprächen mit Einheimischen wird schnell klar: es gibt zwei Wege. Einer führt am rechten, östlichen Seeufer entlang. Da gibt es auch eine Strasse. Der zweite führt am linken, westlichen Seeufer entlang. Da gibt es keine Strasse, doch der Weg ist offensichtlich kürzer.

Die Leute sagen uns, dass wir den rechten Weg nehmen sollen. Allen voran die Frauen. Er sei besser für uns. Wo denn das Problem am linken Weg liege, möchten wir wissen. Es handle sich um schweres Terrain, Dschungel und so.

Und da kickt auch schon unser Ego ein – zumindest das von Guillome und mir. Ist doch klar, dass wir den linken Weg nehmen!

Gesagt, getan. Wir brechen auf zum westlichen Seeufer. Anfangs ist der Weg angenehm. Bis wir dann eine Büffelherde vor uns haben. Der Weg führt mitten durch sie hindurch. Schnell merken wir, dass eine Kuh aggressive Bewegungen macht. Sie gibt uns offensichtlich zu verstehen, dass wir uns nicht nähern sollen.

Shanty und ich wollen uns nicht auf einen Kampf mit Büffeln einlassen. Doch Guillome läuft weiter. Ich weiss nicht, was genau sein Ziel war. Heute denke ich, er wollte sich einfach nur spüren. Er geht unbeirrt weiter auf dem Weg. Langsamer. Zeitweise bleibt er stehen. Shanty und ich rufen ihm zu, dass wir das keine gute Idee finden und er doch bitte umkehren soll.

Der Franzose ignoriert uns. Ein paar Büffel scheinen nun beruhigt, doch die aggressive Mutter tobt umher und schnaubt heftig.

Shanty und ich beobachten das Geschehen einen Moment lang und sehen dann ein, dass wir durch den Wald hindurch an den Büffeln vorbei müssen. Es ist steil und der Boden ist übersät mit einer etwa zwanzig Zentimeter dicken Schicht aus abgestorbenen Blättern.

Beim Abstieg verlieren wir immer wieder den Halt. Shanty hat zwar Stöcke bei sich, doch die Niederländerin ist sich dieses Terrain nicht gewohnt. Es ist äusserst steil, ungewöhnlich rutschig und total unvorhersehbar. Rückblickend warscheindlich das schwierigste Terrain auf dem ich je gewandert bin.

Wir fallen beide hin, holen uns Kratzer und Beulen. Wir beide verfluchen Guillome, ich innerlich, Shanty dagegen schon lange nicht mehr.

Nach etwa 20 Minuten erreichen wir ihn. Er ist durch die Büffel hindurchgelaufen. Am Seeufer bricht eine heftige Debatte über Sinn und Unsinn seiner Aktion aus. Wie wir uns dabei fühlten, was wir von ihm erwarteten, aber auch umgekehrt. Seinen Standpunkt fand ich damals schon interessant, heute umso mehr.

Für ihn war es vollkommen okay uns beide in diese Situation zu versetzen. In seinen Augen wäre es nicht zu viel verlangt gewesen, dass wenn er angegriffen worden wäre, einen Krankenwagen zu rufen und dann weiterzugehen. Das er uns dabei in die Lage versetzt hätte, diesen Angriff und seine Folgen mitansehen und vor allem miterleben zu müssen, gewichtete er als harmlos.

Ich konnte das nicht ganz verstehen. Es passte irgendwie nicht ganz in mein Weltbild. Heute tut es das. Jeder ist für sich selbst und für seine Gefühle und Gedanken verantwortlich. Nicht für die der anderen.

Wir gehen weiter. Es ist heiss und wir sind hungrig und erschöpft. Der Weg, der vor uns liegt wird nicht leichter. Wir kämpfen uns kleinen Trampelpfaden das Seeufer entlang. Innerlich bin ich schon lange zu der Erkenntniss gekommen, dass wir den falschen Weg gewählt haben.

Wir sehen kein Ende. Es ist kein Ende in Sicht. Um 15:30 Uhr sind wir noch immer unterwegs, ohne etwas gegessen zu haben. Es geht weiter und weiter. Nicht aufgeben, einfach weiterlaufen.

Wir kommen zu einer weiteren Uferböschung. Was ist das? Da oben sehen wir Häuser. Wir konsultieren die Karte. Guillome glaubt, dass wir da hochlaufen können. Ich weiss nicht, was ich glauben soll. Mein Denken ist ein wenig eingeschränkt, wenn ich hungrig und erschöpft bin.

Egal, machen wirs doch einfach. Der Franzose geht vor. Shanty ist sichtlich erschöpft. Ich gehe den Weg mit ihr gemeinsam.

Wir kämpfen uns diese Anhöhe herauf. Es sind bestimmt 100 Höhenmeter. Schweissgebadet kommen wir oben an. Guillome ist schon da.

Wir finden eine Art Bushaltestelle und warten auf den öffentlichen Verkehr. Das Ziel ist klar: wir brauchen etwas zu Essen, egal was. Um 16:11 Uhr an diesem Tag befinde ich mich mit einem Franzosen auf dem Dach eines Busses, der uns ins nächste Dorf bringt. Er sieht irgendwelche Schilder, die auf ein Restaurant hindeuten. Er fragt mich, was ich denke.

Ich bin zu müde um eine Meinung zu haben. Wir steigen alle aus und finden ein Wachhaus vor. Sicherheitspersonal bewacht den Eingang zum Restaurant. Scheinbar liegt es da unten im Wald. Wir fragen ob es da zu Essen gibt. Das Personal sagt ja. Ob und wie teuer es ist, ist uns egal, also laufen wir den Weg durch den Wald hinunter und staunen nicht schlecht, als wir unten ankommen:

Wir haben das Begnas Lake Resort & Villas gefunden! Ein Vier Sterne Hotel am Begnas See.

An der Reception fragen wir, ob wir etwas zu Essen bekommen. Insgeheim haben wir Angst, dass man uns auf Grund unserer Kleidung nicht akzeptieren würde. Beim Personal ist das offensichtlich kein Thema. Nur gewisse Gäste werfen uns sehr seltsame Blicke zu. Aus Neugier fragt Guillome, was die Nacht hier kostet. Das günstigste Zimmer kostet 120 US-Dollar pro Nacht. Die teureren Doppelzimmer 230 USD.

Was für ein Wandel. Vor einer Stunde wanderten wir durch das seichte Seeufer, schweissgebadet, hungrig und müde. Jetzt sitzen wir im Restaurant eines 4 Sterne Hotels und geniessen unser Essen bei einem Sonnenuntergang. Unglaublich. Es ist total surreal.

Wir sind angekommen. Nach drei Tagen sind wir nun fertig. Das ist der Abschluss unseres Treks.

Wir sitzen da, trinken ein kaltes Bier. Reden. Reden über unsere Herkunft, über unsere Pläne und die Welt. Über unsere Erlebnisse auf dem Trek. Es ist ein herrliches Gefühl.

Am selben Abend nehmen wir uns ein Taxi nach Pokhara. Guillome und ich verabreden uns noch zu einem Bier. Shanty möchte lieber nicht kommen, doch schlägt vor sich am nächsten Morgen zum gemeinsamen Frühstück zu treffen. Wir willigen ein. Danach würde jeder von uns wieder seinen Weg gehen. Shanty würde nach ein paar Tagen nach Hause gehen. Guillome würde wieder nach Indien fliegen um dort weiter zu arbeiten. Und ich, ich würde wieder in die Schweiz gehen.

Abschluss

Nach unserem gemeinsamen Frühstück packte ich meine Sachen im Guesthouse und machte mich anschliessend auf den Weg nach Kathmandu. 9 Stunden im Minibus von Pokhara nach Kathmandu. Dann ein 6 Stündiger Flug nach Abu Dhabi. Dort ein Aufenthalt von 7 Stunden. Es folgt ein 7 Stündiger Flug nach Genf. In Genf Wartezeit von 3 Stunden – in meinem Fall 4, da es ein Problem mit dem Flugzeug gab. In 50 Minuten flogen wir an den Alpen vorbei nach Zürich, wo ich abgeholt wurde um schliesslich um 21:00 Uhr Abends zu Hause anzukommen…nach 35 Stunden.

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