15 Millionen
Ich bin ziemlich müde. Liegt daran, dass irgendwann frühmorgens oder mitten in der Nacht – wie auch immer – irgend so ein Trottel, oder eine Trottelin minutenlang an eine Zimmertür geklopft, oder rumgehämmert hat. Keine Ahnung was es genau war, aber es hat mich aufgeweckt. Also bin ich nicht sonderlich gut gelaunt, als Lim mich um 08:00 Uhr anruft, um mir mitzuteilen, dass er schon in Dau – wo ich übernachtet habe – ist. Eigentlich hatten wir 10:00 Uhr abgemacht, doch um seinen Eltern eine bessere Ausrede verkaufen zu können, hat er einen früheren Bus von Tarlac nach Dau genommen.
Wir machen uns gemeinsam auf nach Manila, wo wir unsere Wohnung für die nächsten 2 Monate übernehmen würden. Wie wir eine Wohnung gefunden haben? Über AirBnB. Das hat verschiedenste Vorteile, gegenüber der Variante direkt mit einem Vermieter in Kontakt zu treten und für eine Periode von 2 Monaten lohnt sich letzteres sowieso nicht. Erst vor zwei Tagen – nach ewigem hin und her – haben wir die Reservation gemacht.
Da Lim ein OJT (On the job training), also ein Praktikum in Manila macht, suchten wir nach einer Wohnung in der Nähe seines Praktikumsplatzes.
Doch nicht nur der Standort war entscheidend, sondern auch die Art und Grösse der Wohnung. Wir sind nicht allein, denn seine Kollegin Cheyenne, die ebenfalls ihr Praktikum in Manila absolvieren wird, wird bei uns wohnen. Also benötigten wir zwei Schlafzimmer. Die Suche nach etwas passendem war frustrierend und oft war ich wütend und unglaublich genervt ob dem Verhalten von Lims Studienkolleginnen. Ursprünglich war gedacht, dass wir zu viert oder gar zu fünft sind, doch das änderte sich immer wieder, da einmal Zugeständnisse gemacht wurden, und am nächsten Tag abrupt die Meinung geändert wurde. So kam ich in Kontakt mit Zugeständnissen und Abmachungen mit Filipinos, hehe.
Wenn man etwas abmacht, muss das nicht unbedingt heissen, dass es eingehalten wird.
Klar, das gibt es auch in Europa, logisch. Wenn ich da an meine Zeit in Bosnien denke, hehe. Trotzdem war es hart für mich, mich an diese Umstände zu gewöhnen und ich glaube insgeheim habe ich es noch nicht ganz akzeptiert, aber ich mache Fortschritte 😉
Viel zu früh kommen wir in Manila an. Die Wohnungsübergabe soll um 15:00 Uhr stattfinden. Oder wie hier üblich „at 3pm“. Das blöde amerikanische Zeitsystem. So etwas dämliches. Jedes mal denke ich, dass es doch viel leichter und viel weniger konfus wäre, wenn man eindeutige Zeiten hätte, wie zum Beispiel 15:00 Uhr anstatt 3pm und 3am. Wenn man dann irgendeine digitale Anzeige sieht mit 3:00 weiss man nicht, ob 03:00 Uhr oder 15:00 Uhr gemeint ist. Bläääää. Egal, Hauptsache die Amerikaner sind zufrieden, hahaha.
Wir hängen ein wenig in einer Shoppingmall herum, bis wir uns nach Pasig City, einem Stadtteil in Manila aufmachen. Manila besteht aus 17 verschiedenen Städten, die zusammen eine riesige Grossstadt mit ca. 15 Millionen Einwohnern formen. Allein der Stadtteil Pasig zählt 617‘000 Einwohner und praktisch alle Stadtteile weisen somit die grössere Einwohnerzahl als Zürich auf, hehe. Der Verkehr ist der absolute Horror. Vor allem zu den Stosszeiten. Ein Beispiel: am Montag haben wir fast eine Stunde gebraucht um eine Strecke von 5 Kilometern in einem Bus zurückzulegen. Zu Fuss wären wir schneller gewesen, hahaha. Leider wird Lim in den nächsten Wochen diese Strecke auf dem Weg zur Arbeit jeden Tag zurücklegen müssen. Zwei Mal.
Am Eingangstor werden wir von der Security gecheckt und es herrscht erst ein wenig Verwirrung. Doch dann geht alles ganz gut vonstatten. Darnell, der Vermieter holt uns am Tor ab und wir sehen uns die Wohnung an. Sie befindet sich in einem grossen Wohnkomplex, der 24/7 bewacht wird. Es gibt ein Clubhaus, einen Swimmingpool, einen kleinen Laden mit dem nötigsten, eine Wasserstation, wo man das Trinkwasser für die Wohnung auffüllen lassen kann und vieles mehr. Die Wohnung hat zwei Schlafzimmer, in beiden je eine Klimaanlage, ein Wohnzimmer, Küche und ein Badezimmer.
Darnell ist sehr freundlich. Wir erfahren, dass in den letzten 3 Jahren niemand hier gewohnt hat. Er hat übers Wochenende, da wir ja erst am Freitag gebucht haben, zwei Reinigungskräfte hier gehabt um alles auf Vordermann zu bringen. Es ist eigentlich alles da was wir brauchen. Kühlschrank, Kochherd – mit Gas – , rudimentäre Küchenausstattung, Kaffeekocher – sehr wichtig – und ein Esstisch mit vier Stühlen. Darnell putzt noch ein paar Sachen, erklärt uns einige Dinge und nach ein wenig Smalltalk über die Situation von Lim und mir, machen wir uns zusammen zur nächsten Shoppingmall auf um einige Lebensmittel zu kaufen.
Später koche ich das Abendessen – das erste Mal in meinem Leben mit einem Gasherd, hehe. Dann sehen wir ein wenig fern. Leider empfangen wir hier nur Fernsehkanäle in Tagalog, der meistverbreiteten Sprache auf den Philippinen. Die Shows die da laufen sind speziell für mich. Casting- und Talentshows. Dann wieder irgendwelche Comedyshows, in denen ständig dieselben Soundeffekte eingespielt werden. Die Filipinos scheinen das unheimlich komisch zu finden, für mich ist es nur dämlich, hahaha. Aber ja, jedem seinen Geschmack.
Dann kommt mal ab und zu ein Fernsehdrama, wo es um Liebe und Beziehungen geht oder gelegentlich die Nachrichten, in denen sich momentan alles um die „terroristischen“ Aktivitäten auf der Insel Mindanao oder um den Casino Anschlag in Manila dreht. Es ist spannend, frustrierend und interessant näher ans Alltagsleben auf den Philippinen heranzukommen.
Mein Horizont erweitert sich und ständig versuche ich zu verstehen und zu begreifen, umgeben von einer fremden Kultur.
Ach ja, und gestern Abend bin ich fast durchgedreht. Ich habe mehrmals versucht das Ausmass zu begreifen, doch es ist mir kaum gelungen. Ich war in der Stadt. Unterwegs mit den ÖV, also mit der MRT (eine Art U-Bahn) und der LRT – eine Art Zug, auf erhöhten Schienen, die über den Strassen verlaufen. Um 16:30 Uhr habe ich mich auf den Rückweg zu unserer Wohnung gemacht. Vom Stadtteil Ermita aus. Wisst ihr, wann ich hier angekommen bin? Um 20:30. Vier Stunden später! Weshalb so lange? Feierabendverkehr in Manila. Das ist krass, sage ich euch. Extrem. Wie das in den MRT Stationen zu und her geht. Die Menschen stossen sich in die völlig überfüllten Züge rein.
Jeder hinterste und letzte Kubikzentimeter wird ausgefüllt, bis die einzigen Körperteile, die die Menschen um Zug noch bewegen können, die Augen sind!
Hühner in Käfighaltung haben mehr Platz. Das ist das extremste Gedränge, das ich je gesehen habe. Nicht einmal in Indien habe ich so etwas gesehen und ich bin viel mit den ÖV in Indien gereist. Ich musste an einer MRT Station aussteigen. Ich konnte das nicht mehr mitmachen. Ich hatte kaum Plat zum Atmen. Also wartete ich an der Station Guadalupe und beobachtete das Treiben. Alle paar Minuten rollte ein neuer Zug an. Jeder war völlig überfüllt. Die Menschen, die an der Station aussteigen wollten, hatten grösste Mühe, denn die, die einsteigen wollten, drängten sich penetrant in den Zug sobald sich die Türen öffneten. Mehrmals konnte ich beobachten, wie Leute von aussen einfach hineindrückten, ohne Rücksicht und dann ihre Gliedmassen zusammenzogen, sodass sich die Türen überhaupt schliessen konnten!
Auf den Strassen dasselbe. Hoffnungslos überfüllt. Ich sah mehrere Krankenwagen, die mit heulenden Sirenen versuchten durch den Verkehr zu kommen. Da wird keine Rettungsgasse gebildet. Sie haben grösste Mühe sich durchzudrängen. Da kommt in mir unweigerlich die Frage hoch, wie viele Menschen wohl schon in diesem Verkehr gestorben sind, weil sie nicht rechtzeitig ins Krankenhaus gebracht werden konnten?
So sieht es also aus, wenn die Erwerbstätige Bevölkerung einer 15 Millionen Metropole in Bewegung ist. Einfach nur krass.
Nachdem ich mehr als 8 völlig überfüllte Züge die Station passiert haben, entscheide ich mich zu laufen. Also laufe ich von der MRT Station Guadalupe bis zur Station Shaw Boulevard, wo ich die nächste Warteschlange sehe und mich bei deren Anblick sofort entscheide weiterzulaufen. Ich laufe schnell, ich schwitze. Mein Training für heute. Nach 3 Kilometern erreiche ich die Bushaltestelle, steige in einen Bus, wo ich sogar einen Sitzplatz ergattern kann und hoffe auf eine baldige Abfahrt. Um 20:30 erreiche ich dann endlich den Eingang zu den East Ortigas Mansions, wo wir wohnen. Lim und Cheyenne warten bereits auf mich und zusammen gehen wir zur Shoppingmall um etwas zu Essen. Ich habe keine Lust zu kochen heute Abend, haha.
Hier noch ein Blick auf die Karte, um meinen 4 Stunden Heimweg zu veranschaulichen:
So, das wars mal wieder. Danke fürs Lesen und bis bald! =)