Über den Tizi N‘Tichka nach Agdz

Über den Tizi N‘Tichka nach Agdz

14 Jahre. Das stellte mein Bruder Elias eben fest. 14 Jahre ist es her, seit wir das letzte Mal mit der gesamten Familie im Urlaub waren. Das ist eine lange Zeit. Klar, nun sind nur wir zwei unterwegs. Trotzdem haben wir über das Thema gesprochen, naja.

Auf unserer Reise durch Marokko, würden wir so einige Abenteuer erleben.

Von zerstörten Brücken, über Kamele auf der Fahrbahn, bis hin zu den verworrenen Gassen in Marrakeschs Altstadt.

Doch vielleicht sollte ich am Anfang beginnen. Denn begonnen hat es in Genf. Wieso denn dort, fragt man sich vielleicht? Weil es auch dort einen Flughafen gibt, von wo aus man bequem nach Marrakesch fliegen kann. Bereits am Vorabend unseres Fluges reisten mein Bruder Elias und ich in die Hauptstadt der Westschweiz.

Nachdem wir uns im Ibis Budget Hotel ganz in der Nähe des Flughafens einquartiert hatten, begaben wir uns mit dem Bus in die Stadt um das Abendessen zu uns zu nehmen. In der Brasserie Lipp liessen wir es uns richtig gut gehen. Die Spezialität des Hauses nennt sich „Ohr des Elefanten“ und hat diesen Namen auch wirklich verdient!

Früh gings dann am Sonntagmorgen auf zum Flughafen. Zu Fuss. Sehr unkompliziert konnten wir unser Gepäck dort selber einscannen und aufs Band schicken – zumindest mit ein wenig Hilfe des sehr freundlichen Personals.

Natürlich besuchten wir noch das nette kleine Food Court, wo wir uns ein Birchermüesli und einen frisch gepressten Orangensaft gönnten. Nur wenig später sassen wir schon im Flieger. Zum ersten Mal hatte ich das Vergnügen in einer Bombardier der C-Series 300 zu fliegen. Oder sollte ich besser sagen in einem Airbus A220-300 – da die Firma ja von Airbus gekauft wurde und der Flugzeugtyp dementsprechend umbenannt wurde.

Das angenehme, helle Interieur der Kabine überzeugte mich sofort. Auch cool fand ich, dass auf der linken Seite des Ganges nur zwei Sitzplätze montiert sind. Das gibt einem die Möglichkeit etwas mehr „Privatsphäre“ zu haben, wenn man gern zu zweit reist.

Nach nicht einmal einer Stunde, durften wir einen wunderschönen Sonnenaufgang über den Wolken erleben.

Ich fliege viel und gerne und doch ist die Schönheit der Natur hier oben niemals langweilig für mich. Die Zeit vergeht wie im Flug und nach weniger als 3 Stunden, landen wir in Marrakesch.

Dort läuft bis auf die Einreisekontrolle alles geschmeidig ab. Mit unserem Gepäck machen wir uns auf die Suche nach dem Schalter des Fahrzeugvermieters Mex, wo ich im August einen Wagen reserviert hatte. Doch da gibt es keinen Schalter.

Draussen vor dem Hauptausgang finden wir ein Schild von Mex mit einer Telefonnummer, aber keinem Mitarbeiter. Wir sind ja noch zu früh dran, denken wir. Also gibt’s noch einen Kaffee. Doch zu unserer Überraschung steht auch um 10:00 Uhr – so lautet die abgemachte Zeit – keiner da. Immer wieder laufen wir zum Schild hin und suchen nach einem Mitarbeiter.

Nun scheint da jemand hinter dem Schild zu stehen. Ich spreche ihn an und frage, ob er für Mex arbeitet. Nein, sagt er und wir kommen ins Gespräch. Der junge Mann mit dem Namen Faisal spricht französisch.

Jetzt ist der Moment gekommen, wo ich all meine Kenntnisse dieser Sprache hervorzaubern muss.

Es gelingt mir ihm zu erklären, dass wir eigentlich auf den Autovermieter warten, doch dieser ist nicht erschienen. Faisal will uns helfen und ruft bei der Nummer an, die auf dem Schild steht. Dort wird erst behauptet, dass wir keine Reservation hätten. Dann geben wir eine Nummer durch und urplötzlich wird im Büro, auf der anderen Seite der Leitung die Buchung gefunden! Sie sei untergegangen, da ich sie bereits im August gemacht hatte.

Ach herrje, denken wir. Faisal bittet einen Mitarbeiter von Mex zum Flughafen zu kommen, was aber noch rund 30 Minuten dauern würde. In der Zwischenzeit unterhalten wir uns mit dem jungen Marokkaner und seiner Freundin Sarah. Sie wohnen beide in Frankreich und warten auf eine Kollegin, mit der sie Marrakesch besuchen möchten.

Elias und ich sind Faisal unendlich dankbar, dass er sich so für uns einsetzt. Schlussendlich lernen wir noch kurz die Kollegin der beiden kennen, die mit einem anderen Flieger angekommen ist und verabschieden uns anschliessend von allen um nur wenige Minuten später Karim, einen Mitarbeiter von Mex kennenzulernen.

Er führt uns zu einem verbeulten, dreckigen Nissan Juke.

Im ersten Moment denke ich: scheisse, den Wagen können wir so nicht übernehmen. Das Glas vom rechten Rücklicht ist auch zerbrochen. Karim erklärt uns, dass er uns hier ein gratis Upgrade zur Verfügung stellt, denn eigentlich hatten wir einen kleineren Wagen gebucht. Dieser hier hat 5 Türen und einen guten Dieselmotor. Wir willigen ein und machen dutzende Fotos von jeder Ecke des Wagens, um in einem Schadenfall abgesichert zu sein.

Dann gehen wir jede einzelne Delle und jeden Kratzer mit Karim durch und vermerken ihn auf dem Übernahmeprotokoll. Er ändert nun auch noch die Bedingungen für die Rückgabe: neu müssen wir den Wagen nicht mehr vollgetankt retournieren. Ein guter Deal für uns und wir unterschreiben das Protokoll. Dann richten wir uns kurz im Wagen ein und schon geht die lustige Fahrt los!

Elias und ich hatten uns doppelt abgesichert. Jeder von uns hat ein Offline Navigationssystem organisiert. Mein Bruder wählte google maps, wo er die offline Karte von Marokko heruntergeladen hat und ich versuchte es mit Here We Go. Diese App ist der burner! Man kann ganze Länder und Kontinentskarten herunterladen und offline verwenden. Das Navigationssystem funktioniert einwandfrei und führt einen per Sprache und Zeichen an den richtigen Ort. Sogar die Geschwindigkeitslimiten werden exakt angezeigt!

So bringt uns diese tolle App problemlos aus Marrakesch heraus in Richtung Osten. Unser Tagesziel für heute ist Agdz – ausgesprochen Agdes. Die Strassen hier scheinen in einem guten Zustand zu sein. Es hat relativ viel Verkehr und es scheinen auch einige andere Touristen mit Mietwagen unterwegs zu sein.

In den kleinen Dörfern, die wir passieren, muss Elias jeweils vorsichtig fahren, denn immer wieder laufen Kinder über die Strasse oder Eselskarren, alte Männer und Traktoren versuchen am Verkehr teilzunehmen.

Die Landschaft, die wir zu Gesicht bekommen ist wunderschön. Erst flach und viele Büsche und Palmen. Dann nähern wir uns immer mehr dem Atlasgebirge und es wird steil. Kurven über Kurven. Die Farbe der Felsen und Berge verändert sich. Karge, schroffe, fasst metallig glänzende Felsen wechseln sich mit sandig braunen und teils gar grünen Hügeln ab. Ein unglaublicher Kontrast.

Für unsere Strecke würden wir mehr als 5 Stunden brauchen. Das ist relativ viel Zeit für 267 Kilometer. Doch die Berechnung von „here we go“ ist äusserst exakt, wie sich herausstellte. Wir überqueren den hohen Atlas – eine Gebirgskette – über den Tizi N’Tichka Pass. Auf der Passhöhe halten wir an, um ein paar Fotos zu machen.

Wer Marokko für eine reine Wüstenlandschaft ohne Berge hält, der irrt: wir sind hier auf 2260m Höhe und die Berge um uns herum sind noch höher. Allen voran der Jbel Toubkal, welcher mit 4167m der höchste Berg Marokkos ist.

Auf der anderen Seite des Passes geht’s nun wieder nach unten. Noch mehr Kurven. Ich habe bereits zwei Sandwiches und einige Falafel gegessen.

Mein Bruder fährt weiter und weiter, der braucht nicht viel. Ich wäre schon längst verhungert, hehe.

Die Gegend wird wieder flacher und kurz vor dem grossen Ort Ouarzazate biegen wir links ab, in ein Seitental. Weshalb? Wir wollen uns den berühmten Ort Ait Ben Haddou ansehen. Hier gibt es einen sehr alten Ksar. Das ist eine Art Festung. In ihr und um sie herum wurden Szenen aus sehr vielen Filmen und Serien gedreht. Ich zähle hier einmal ein paar auf:

  • Lawrence von Arabien
  • Die Mumie
  • Gladiator
  • Game of Thrones
  • Der Prinz von Persien
  • Der Englische Patient

Und scheinbar viele mehr. Offenbar zieht der Ort viele Touristen aus aller Welt an und so sind wir bei weitem nicht die einzigen Ausländer. Ein paar Jugendliche haben eine Einnahmequelle gefunden, indem sie den mehr oder weniger unbeholfenen Touris über die Sandsäcke hinweg über den Fluss helfen, um danach für den nicht einmal 10 Sekunden Service freche 10 Dirham (ca. 1 CHF) zu verlangen. Ziemlich unverschämt, naja.

Wir gelangen in den Ksar hinein und schauen uns um. Es handelt sich um den Hauptort der Sippe (Ait) der Ben Haddou. Diese kontrollierten zur Zeit der Almoraviden im 11. Jahrhundert am Asif Mellah den Handel auf der alten Karawanenstraße zwischen Timbuktu und Marrakesch.

Der größtenteils aus Stampflehm und Lehmziegeln errichtete Ksar dürfte jedoch jüngeren Datums sein – die Angaben schwanken je nach Quelle vom 12. bis zum 16. Jahrhundert. Auch über die Anzahl der Bewohner kann keine genaue Angabe getroffen werden, jedoch wird von bis zu 1000 Menschen gesprochen, die zeitweilig in Ait Ben Haddou gelebt haben sollen. Seit 1987 gehört das Gebilde  auch zum UNESCO Weltkulturerbe.

Während der Besichtigung treffen mein Bruder und ich ein paar junge Marokkaner an, die sehr gerne ein Foto mit uns machen würden. Wir tun ihnen den Gefallen und tauschen E-Mail Adressen aus. Das Foto habe ich Hassan bereits geschickt 😉

Wir fahren weiter. Einen letzten Pass müssen wir heute noch überqueren. Der Tizi’n Tinififft ist zwar nicht so hoch wie der N’Tichka, aber ebenfalls sehr kurvenreich und er wartet mit einer sehr schönen Landschaft auf. Von da oben können wir bereits das Tal sehen, in welchem Agdz liegt und ebenfalls den sehr markanten Jbel Tajine. Jbel ist arabisch für Berg. Der Gipfel dieses Berges hat die Form einer sogenannten Tajine.

Auf dem Weg ins Tal treffen wir auf eine Situation. Ein Auto steht am Strassenrand und ein Mann mit einer leeren Wasserflasche winkt nebenzu. Wir halten an und fragen nach dem Problem. Scheinbar ist den Herren das Öl ausgegangen.

Sie fragen, ob sie einen von ihnen bei uns mitschicken dürfen um in Agdz – wo wir ja eh hinmüssen Öl zu holen.

Wir willigen ein und nehmen den Mann mit. Ich platziere ihn auf dem Vordersitz neben Elias, sodass ich unsere Gegenstände hinten und ihn im Auge behalten kann. Mein Gefühl sagt bis dahin, dass diese Situation plausibel ist. Doch als der Herr uns dann in Agdz in sein Haus einladen will, läuten bei mir die Alarmglocken.

Seine Kumpels sind da oben auf dem Pass und der Wagen läuft scheinbar nicht. Also wäre es doch das Ziel so schnell wie möglich zu ihnen zurückzukommen. Dann erzählt er auch noch, dass er hier ein Museum betreibt und ebenfalls eine Unterkunft. Jetzt ist der Fall klar, ich glaube ihm kein Wort mehr. Freundlich lehnen wir ab – er versucht es noch ein paar Mal – und machen uns auf den Weiterweg zur Unterkunft.

Eine neue Masche, denke ich mir. Die habe ich bisher nicht gekannt. Im „Chant des Palmiers“ fühlen wir uns sofort wie zu Hause. Die kleine Anlage liegt inmitten der Palmenplantagen, abseits von der Stadt. Die Französin Myriam empfängt uns mit einem wunderbaren Tee und frischen Datteln. Die Art wie hier der Tee eingeschenkt wird, hat uns zum Staunen gebracht: mehrmals schüttet man den Tee von den Gläsern zurück in den Krug. Vor allem ist der Abstand, der zwischen dem Glas und der Teekanne bei Einschenken liegt extrem gross. Aber sie haben getroffen!

Sogleich gibt es an diesem Abend unsere erste Tajine. Myriam sagt uns, dass sie das Rezept leicht abgeändert hat. Als sie den Hut der Tajine entfernt, bekommen wir Pouletfleisch auf Reis mit gedämpften Zitronen zu Gesicht. Das Gericht ist herrlich und die Zitronen konnten wir sogar ganz essen mitsamt Schale. Sie haben ihren extrem säuerlichen Geschmack fast verloren und schmeckten köstlich!

Anschliessend gings ab ins Bett, denn es war ein sehr langer Tag.

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