Der Fluss der Toten

Der Fluss der Toten

Aus der Reihe: Geschichten aus Indien

Vom 13. März bis 15. März

Habe ich nicht in meinem letzten Beitrag, „In den Palästen Jaipurs“ etwas von Täuschung geschrieben? Ja, tatsächlich.

Döme und ich waren uns relativ sicher, dass die Zugfahrt von Agra nach Varanasi „nur“ 14 Stunden dauern würde. Es kam anders. Unser Zug sollte heute, Montagabend um 22:40 Uhr abfahren. So gegen 12:20 Uhr am nächsten Tag würden wir dann in Varanasi ankommen, nachdem wir hoffentlich genug Schlaf im Zug gekriegt hätten.

Früher als pünktlich sind wir am Bahnhof. Wir suchen das richtige Gleis und kaufen noch kurz etwas zum Trinken. Dann begeben wir uns in einen Warteraum. Dort stellen wir fest, dass unser Zug Verspätung hat. Das Internet erzählt mir, dass der Zug mehr als zwei Stunden hinter dem Zeitplan ist. Scheisse.

Zurück ins Hotel können wir nicht, da wir bereits ausgecheckt haben. Dann müssen wir eben hier warten, stellen wir fest. Döme lädt sein Handy an einer Steckdose auf und ich lese ein wenig mit meinem e-book Reader. Die erste Stunde schlagen wir ziemlich schnell tot, doch dann wird das Warten immer mühsamer. Irgendwie haben wir auch nicht wirklich Bock zum Reden. Immer wieder checken wir die aktuellsten Daten.

Die Verspätung des Zuges scheint eher zu- als abzunehmen. Nun sind es 3 Stunden!

Um 00:40 Uhr haben wir so richtig den Anschiss. Weshalb der Zug wohl eine solche Verspätung hat, fragen wir uns. Eine Antwort würde uns allerdings auch nicht viel nutzen. Weiter quälen wir uns und hoffen, dass die Zeit schnell, schnell vorbeigeht. Um 01:40 Uhr ist es dann endlich soweit und der Zug fährt tatsächlich in den Bahnhof ein!

Schnell steigen wir in unseren Wagen. So ein Zug in Indien kann schon sehr, sehr lange sein. Da hängen teilweise mehr als 20 Wagen dran! Müde und erschöpft bin ich froh mein Bett zu sehen. Doch nur wenige Minuten später kommt eine Frau in den Wagen und erklärt, dass das ihr Bett sei. Ich erkläre ihr, dass sie falsch liegen muss. Dann wird mir allerdings erklärt, dass ich falsch liege und wir uns tatsächlich im falschen Wagen befinden, hehe.

Also steigen wir aus dem falschen Wagen aus und in den richtigen ein. Dort ist es dann endlich soweit und wir beide finden unsere Betten vor. Mit Ketten – aus dem Baumarkt – sichern wir unsere grossen Rucksäcke gegen Diebstahl und legen uns dann müde hin. Jedoch nicht ohne vorher ein paar Fotos unserer neuen Schlafstätte zu machen!

So um 10:00 Uhr erwache ich. Nicht das erste Mal diese Nacht. In einem Zug zu schlafen ist schon etwas anderes als in einem Flugzeug oder einem Hotelzimmer. Immer wieder geht die Tür des Zugwagons auf und irgendwelche Menschen gehen den Gang auf und ab. Da wir nur durch einen Vorhang vom Gang getrennt sind, bekommen wir das alles mit.

Döme scheint noch zu schlafen. Er ist in einem Viererabteil auf der gegenüberliegenden Seite. In dem Bett unter ihm schläft ein Inder. Die beiden Betten neben ihnen sind leer. So setze ich mich dann auf das untere Bett. Dominique erwacht und wir quatschen ein wenig. Per GPS versuchen wir herauszufinden, wo wir sind. Noch ne ganze Weile bis nach Varanasi, merken wir.

Nun erwacht auch der Inder. Döme kommt aus dem Bett und setzt sich neben mich hin. Wir kommen ins Gespräch mit dem älteren Mann. Früher, bevor er pensioniert wurde, hat er für eine Zuggesellschaft als Techniker gearbeitet, erklärt er uns. Zu Holi besucht er einen seiner Söhne in Varanasi.

Immer wieder hält der Zug an scheinbar kleinsten Bahnhöfen. Nun erklärt uns der ehemalige Bahnangestellte, weshalb der Zug eine solche Verspätung hat. Da das Holi Fest momentan stattfindet, sind viele Menschen unterwegs zu ihren Familien, so wie er. Dieser Zug würde nicht an all diesen Bahnhöfen halten, wenn da nicht immer wieder irgendwelche Passagiere die Notbremse ziehen würden, um an ihren Zielorten auszusteigen, meint er.

Normalerweise sei das verboten, erklärt er uns. Doch an Holi drücken die Beamten beide Augen zu, sagt er.

Ja dann ist der Fall klar. So entsteht also eine dreistündige Verspätung, hahaha. Mittlerweile ist es 13:05 Uhr und wir essen etwas. Der Pensionär gibt uns sogar etwas von seinem mitgebrachten Mittagessen ab, da er nicht alles essen kann, meint er.

Schlussendlich kommen wir so um 15:30 Uhr am Bahnhof von Varanasi an. Von dort nehmen wir ein überteuertes Taxi in die Stadt und laufen den Rest des Weges durch die engen Gassen der Altstadt um zu unserer Unterkunft, dem Ganpati Guesthouse zu kommen. Es liegt direkt am Fluss Ganges, ganz in der Nähe der berühmten Ghats.

Kurz deponieren wir unsere Sachen und machen uns bereit um nach draussen zu gehen. Vielleicht würden wir noch irgendwas von Holi mitbekommen. Kameras bereit und los geht’s zu Fuss. Leider wird’s nichts. Abgesehen von vielen Farbflecken am Boden und einigen betrunkenen Passanten bekommen wir nichts mehr von Holi mit. Das frohe Fest der Farben fand statt während wir in diesem dämlichen, verspäteten Zug warteten.

Schade…das hätte doch schöne Fotomotive geben können. Ich war tatsächlich sehr froh als ich erfuhr, dass unsere Reise in das Datum des Holi Festes fallen würde. Naja, dann eben nicht.

Als wir so am Fluss entlanggehen sprechen uns immer wieder Verkäufer an, die uns eine Bootsfahrt zum Sonnenaufgang verkaufen möchten. Das möchten wir sowieso machen und so schlagen wir bei einem guten Preis zu und verabreden uns für morgen früh.

Doch heute Abend scheint noch etwas stattzufinden hier. Direkt am Fluss an einem der Ghats. Das sind Stufen, die bis hinab in den Fluss führen. Viele Menschen versammeln sich hier. Und es werden immer mehr. Wir treffen ein Deutsches Paar, welches wir in Jaipur kurz kennengelernt hatten wieder. Sie sind völlig fasziniert von Varanasi und erzählen uns, dass wir unbedingt hier bleiben müssen um dieses allabendliche Spektakel zu erleben.

Mit zunehmender Dunkelheit, nimmt auch die Zahl der Pilger zu, die sich hierher begeben. Kerzen und Feuer werden angezündet. Ein paar freundliche Einheimische bitten uns zu sich und stellen uns einen guten Platz zur Verfügung, von wo aus wir das Ereignis miterleben können. Sie verlangen kein Geld dafür. Sie scheinen einfach nur zu wollen, dass wir alles mitbekommen. Seit einigen Minuten unterhalten wir uns abwechslungsweise mit einem sehr aufdringlichen jungen Mann, der irgendwie versucht uns etwas zu verkaufen. Oder doch nicht?

Nun werden Glöckchen geläutet und sechs junge, in weisse Kleidung gehüllte Männer betreten je eine Art Plattform. Auf jeder steht ein kleiner Altar mit Opfergaben. Die Männer ergreifen nun jeder einen metallenen Gegenstand, der aussieht wie ein grosser Kerzenhalter. Tatsächlich wird etwas darin in Brand gesetzt und mit teils akrobatischen Bewegungen, schwingen die Akteure die Ständer herum.

Später essen wir etwas und legen uns dann schlafen. Diese Nacht in einem normalen Bett und nicht in einem fahrenden 😉

Tatsächlich schaffen wir es am Mittwoch, 15. März um 05:30 Uhr aufzustehen und uns zum Ghat zu begeben.Das ist das zweite Mal, seit Döme und ich zusammen reisen, dass wir das schaffen! Das erste Mal fand in Kambodscha statt um den Angkor Wat zusehen. Dementsprechend stecken wir in den Kinderschuhen. Wir sind müde und nicht ganz präsent, doch gespannt sind wir trotzdem.

Der Bootsfahrer ist da. Wir steigen ein uns los geht’s! Viele andere Touristen sind auch schon unterwegs auf dem heiligen Ganges. Ja, dieser Fluss soll heilig sein für die Hindus. Viele von ihnen waschen sich in ihm rein. Aus rein hygienischer Sicht, ist das absolut dreckig. Denn der Ganges ist voll von Abfall, Exkrementen und sogar einige Leichen schwimmen in ihm herum.

Bevor wir hierher kamen, wussten wir, dass Menschen nach Varanasi kommen um zu sterben.

Wenn ein Hindu hier stirbt, so glaubt man, wird seine Seele aus dem Kreis der Wiedergeburt entfernt und findet die ewige Ruhe. Was wir jedoch nicht wussten, ist was mit einigen der Leichen passiert! Darüber hat uns dann Susanne in einem Horrorbericht informiert, illustriert mit schönsten Bildern von treibenden Toten und Hunden, die sich teilweise an ihnen sattessen. Ach du liebe Zeit!

Tatsächlich werden die meisten Leichen verbrannt. Doch es gibt, wie wir später noch erfahren würden, einige Ausnahmen. Doch nun zurück zum Ganges. Es ist wahrscheinlich eines der verseuchtesten Gewässer der Erde, doch nicht in der Realität der Hindus. Wir sehen Männer, die im Wasser baden und sich waschen.

Ein kurzer Auszug aus dem Netz:

Viele Betriebe und Städte leiten ihre Abwässer ungeklärt in den Ganges. Verstorbene werden darin bestattet. Die Notdurft wird ebenso in dem 2.600 Kilometer langen Fluss verrichtet wie die Wäsche gewaschen.

„Nennen Sie mir irgendein Bakterium, und Sie können darauf wetten: Ganges hat es in sich“,

zitierte die „Süddeutsche Zeitung“ unlängst einen Arzt aus der am Ganges gelegenen Stadt Varanasi im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Jeden Tag landeten bei ihm Patienten, die „sich krümmen und winden und kaum mehr stehen können“. Magen-Darm-Infektionen stünden an der Tagesordnung. Wegen der steigenden Resistenzen werde es aber immer schwieriger, Medikamente für Keime aus dem Ganges zu finden. Die Verschmutzung des Ganges sei bedrohlich.

Auch die Zahl der fäkalen Coli-Bakterien sei im Ganges extrem hoch, so die „SZ“: 500 pro 100 Milliliter Wasser gelten in Indien als gerade noch unbedenklich für das Baden, dieser Wert werde etwa in Varanasi um das bis zu 3.000-Fache überschritten. Durch das Gift aus Fabriksabwässern steigt außerdem das Krebsrisiko.

Ganzer Bericht hier.

Tatsächlich ist Varanasi ein sehr schöner Anblick vom Boot aus. Seht selbst! 🙂

Nach einenhalb Stunden, länger als die verabredete Zeit, kommen wir zu dem Ort zurück, wo wir eingestiegen sind. In einem kleinen Cafe mit Blick auf den Fluss, nehmen wir das Frühstück ein. Noch immer sind wir ziemlich müde. So überrascht es denn auch nicht, dass wir uns nach unserer Rückkehr ins Hotelzimmer erst mal hinlegen und ein wenig zu schlafen.

Am Nachmittag gehen wir am Fluss entlang in Richtung Norden, ja es handelt sich tatsächlich um Norden, hehe. Wir möchten uns eines der Verbrennungsghats ansehen. Da, wo die Leichen der Toten verbrannt werden. So finden wir denn auch eines und wir scheinen nicht die einzigen Interessierten zu sein. Da sitzen schon einige Touristen. Allerdings wird uns immer wieder klar gemacht, dass wir nicht fotografieren dürfen.

Wir nehmen auf den Treppen eines Podiums Platz und versuchen etwas zu sehen. Ein junger Mann setzt sich neben uns und fängt an zu quatschen. Normalerweise heisst das, dass man uns etwas verkaufen will. Bis jetzt redet dieser hier nur. Döme möchte mehr von den Verbrennungen sehen und der Mann bringt uns zu einem erhöhten Punkt auf dem ein Turm steht.

Von hier aus können wir sehen, wie die Leichen zum Fluss getragen werden. In weisse Tücher gehüllt. Dann werden sie auf einen Scheiterhaufen gelegt und in Brand gesetzt, nachdem einige Gaben über sie gestreut wurden – zum Teil Lebensmittelprodukte aus dem Supermarkt.

Döme kann ein paar Fotos machen, hier oben scheint das niemanden zu stören. Die Familien, deren tote Angehörige verbrannt werden, trauern nicht wirklich, sagt man uns. Es ist eher eine Freude, dass jemand den Kreis der Wiedergeburt durchbrochen hat. Zwei junge Deutsche Frauen kommen zu uns hin und beobachten das Spektakel ebenfalls.

Wir können tatsächlich sehen, wie die Tücher in Flammen aufgehen und auch die Haut der Menschen, die sich langsam von ihren Knochen ablöst.

Kein schöner Anblick. Doch ich rufe mir in Erinnerung, dass viele Kulturen ihre Toten verbrannt haben. Im hohen Norden Beispielsweise. Und diese Kultur hier scheint eh eine der ältesten überhaupt zu sein. Nach einiger Zeit und nachdem wir genügend Rauch von brennenden Leichen eingeatmet haben, gehen wir wieder nach unten. Natürlich möchte der junge Mann, der uns die ganze Zeit begleitet hat jetzt etwas von uns haben. In diesem Fall möchte er, dass wir Holz für eine Verbrennung kaufen und es an Familien spenden, die zu wenig Geld dafür haben, Holz zu kaufen.

Dann tun wir das halt, obwohl ich in meiner Magengegend spüre, dass das einfach nur Blödsinn ist und der Typ einfach Geld will. Naja, egal.

Ein anderes Verbrennungsghat, welches wir vom Fluss aus fotografiert haben.

Wir laufen noch ein wenig durch die engen, kleinen Gassen von Varanasi. Die Altstadt ist wirklich sehr verwinkelt und äusserst eng. Viel Militär und Polizeipräsenz hier. An vielen Orten stinkt es einfach nur scheusslich und mehrmals sehen wir Kühe, die in diesen Gassen zu leben scheinen.

Sie fressen den Abfall in den Strassen, genau wie die Hunde, die an einem frischen Haufen Mageninhalt schnüffeln und lecken.

Varanasi ist für mich in vielerlei Hinsicht ekelerregend. Die Rinder und Kühe sind heilig, doch wie heilig ist ein solches Leben in diesen engen Gassen in Müll und Dreck?

Unser Aufenthalt in Varanasi geht zu Ende und das nächste und letzte Ziel unserer Indienreise heisst: Haridwar!

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