Tiger in Sicht!

Tiger in Sicht!

Aus der Reihe: Geschichten aus Indien

Vom 27. März bis 30. März

Unterwegs im Bus von Nagpur nach Chandrapur. Ein MSRTC Bus, ein staatlicher also. Das ist geil, denn in den staatlichen Bussen hier im Bundesstaat Maharashtra läufts immer gleich ab: man steigt ein, der Bus fährt los und dann kommt der uniformierte Kondukteur bei dem man ein Ticket kauft. Jeder bekommt für sein Ticket eine Quittung und das Wechselgeld wird bis auf die letzte Rupie ausbezahlt. Sogar wenn man höflich aufrunden möchte, um ihnen Aufwand zu ersparen, wird dies ihrerseits höflich abgelehnt. Bevor ich mit staatlichen Bussen in der Gegend rumgetuckert bin, hab ich das noch nie so erlebt in Indien.

Ich komme in Chandrapur an. Es ist höllisch heiss. Am Busterminal sind hunderte Menschen. Es ist ein kommen und gehen. Ich versuche beim Infostand herauszufinden, wie ich von hier nach Moharli, ein kleines Nest beim Eingang des Tadoba Nationalparks, komme. Der Mann hinter dem Schalter erkundigt sich bei seinem Kollegen und sagt mir dann ein paar Zahlen. Jetzt weiss ich nicht, ob er damit eine Nummer meint, eine Zeit oder sonst was. Ich frage erneut und nun wird klar, dass es eine Zeit ist: 14:30 Uhr. Aber es ist 15:00 Uhr. Wo der Bus denn abfahre, frage ich. Am hinteren Teil des Terminals, zeigt er. Mittlerweile habe ich eine ganze Gruppe junger, männlicher Inder um mich herum. Sie versuchen mir zu helfen und erkundigen sich selbst nochmal beim Infostand. Dann ist einer von ihnen sogar bereit mich mit seinem Motorrad nach Moharli zu fahren. Doch dieses Angebot lehne ich dankend ab, da ich meine volle Ausrüstung bei mir habe und das alles viel zu schwer ist für zwei Personen auf einem Motorrad. Anstatt dessen gehe ich zur Rückseite des Busbahnhofs und warte dort. Irgendwann würde dann schon ein Bus kommen.

Und so war es auch. Wenige Minuten später kommt ein Bus. Schon witzig: ich glaube ich habe während meiner Reisen durch Nepal und Indien noch nie länger als 10 Minuten auf einen Bus gewartet. Da fährt irgendwie immer was 😉 Der Weg nach Moharli ist holprig und der Bus ist komplett überladen. Die Menschen stehen hinten Schulter an Schulter, Brust an Brust, Po an weiss ich nicht was. Vorne in der Fahrerkabine sind neben mir und dem Fahrer noch 2 andere Passagiere untergebracht. Ich teile mir einen Sitz mit einem alten Mann.

„25‘000 Rupees!“

schreit der Fahrer zu mir rüber. Seit ein paar Minuten versucht er mir etwas zu erklären. Ich glaube er meint, dass er bei der staatlichen Busgesellschaft 25‘000 Indische Rupien pro Monat verdient. Das sind etwa 380 Schweizer Franken. Ich habe kein Verhältnis zur Hand. Da fällt mir allerdings ein, dass viele Menschen in Bosnien um die 300 Euro im Monat verdienen.

Wir erreichen Moharli. Ich steige aus dem Bus und da sich der Fahrtwind verabschiedet hat erschlägt mich die Hitze fast. Es ist unerträglich heiss, über 40°. Allerdings weiss ich, dass es hier keine TukTuks oder Taxis gibt, also muss ich zu Fuss zum MTDC Resort laufen. MTDC, das ist die „Maharashtra Tourism Development Corporation“, das Tourismusdepartement des Bundesstaates. Die haben überall in Maharashtra Unterkünfte und Büros, da der Tourismus in diesem Bundesstaat heftig gefördert und umworben wird. Der Schweiss tropft von meiner Stirn, über die Nase auf den Boden. Nach einem Kilometer hab ichs geschafft und komme im Resort an.

“No private safari possible.”

sagt der Direktor zu mir. Ich bin ziemlich vor den Kopf gestossen. Ich könne morgenfrüh um 05:30 Uhr am Eingangstor des Parks sein, und dort versuchen einen Platz im Kanterbus zu erlangen. Der Direktor macht mir folgendes klar: im Tadoba Nationalpark kann man nur eine Safari in einem Jeep machen, wenn man diesen zuvor online gebucht hat. Ich beginne zu verstehen. Natürlich fragt man sich, warum ich denn nicht mein Handy zücke und eine Buchung mache? Ahaaaa….in ganz Moharli gibt es kein Internet. Als klar wird, dass auch der MTDC Direktor hier per Telefon nichts organisieren kann, besteht meine einzige Chance in den Park zu kommen darin, wie gesagt morgen früh um 05:30 Uhr am Eingangstor zu stehen und zu sehen ob ich noch was bekomme. Dämlich, richtig dämlich denke ich mir und laufe fluchend zu meinem Bungalow.

Was für ein Bullshit ist das denn? Ich bin wütend, schüttle ungläubig den Kopf und kann es nicht fassen. Wo gibt’s denn sowas? Und da trifft es mich wieder schlagartig: Indien! Das ist Indien. Hier findet man alles und ich meine wirklich alles. Die ganze Bandbreite des Lebens, in jeder Hinsicht. Hahaha.

Der Wecker geht ab. Es ist 04:50 Uhr. Anziehen, sichergehen dass die Kamera dabei ist und los. Auf dem Weg vom Resort zum Parkeingang gibt es kaum Licht, deshalb habe ich meine Taschenlampe dabei und insgeheim hab ich schon ein wenig Schiss, denn es gibt keine Absperrungen oder Zäune hier. Immer mal wieder werden die Rinder von Dorfbewohnern oder die Dorfbewohner selbst von Tigern angegriffen. Alles nur Geschichten, denke ich. Doch das glaub ich mir selbst nicht und deshalb laufe ich dann noch ein wenig schneller um möglichst bald zur Hauptstrasse zu kommen. Am Parkeigang herrscht Chaos. Dutzende Jeeps, Guides und Touristen stehen da. Ich versuche das Ende der „Warteschlange“ vor dem Schalter zu finden, doch nur allzu schnell wird mir wieder bewusst, dass ich in Indien bin, wo die Leute – trotz Britischer Kolonialherrschaft – das Prinzip der Warteschlange nicht kennen. Jeder drängelt, wo er nur kann und mittendrin der geduldige, nur leicht genervte Schweizer, hehe. Als ich endlich an die Reihe komme, gibt man mir zu verstehen, dass erst alle Jeeps drankommen und erst später die Leute, die in den Bus wollen. Ob ich denn keinen Platz mehr auf einem der Jeeps habe, frage ich. Der Typ erklärt mir, dass alles voll sei. Ich könne höchstens noch auf den Bus.

Jaja, denke ich mir, dann hol ich mir eben was zum Frühstücken. Ein paar billige Brötchen und ein Schokoriegel vom Schuppen nebenan müssen reichen. Ich sitze auf einer Bank und beobachte all die Jeeps die in den Park einfahren. Frustriert bemerke ich, dass einige von ihnen noch freie Plätze haben. Schon wieder werde ich wütend und denke: was für ein Saftladen. Dann herrscht plötzlich Hektik, eine weibliche Parkaufseherin in Tarnuniform kommt zu mir und fragt mich, ob ich nicht auf einen Jeep möchte und ich sagte, natürlich möchte ich, aber es gäbe ja keine Plätze mehr. Eine Indische Familie habe mich gesehen und wäre bereit mich mitzunehmen. Freudig und überrascht gehe ich zum Jeep hin, doch in diesem Moment kommt der Miesepeter. Ein anderer Parkangestellter erklärt der Aufseherin, dass es nicht möglich sei, die Gruppen zu mischen. Also keine Inder mit Ausländern. Ich könne ja einen Jeep für mich selbst mieten, meint der Miesepeter. Was das denn koste, frage ich. 10‘000 Rupien, höre ich. Das sind 150.- für eine dreistündige Safari. Vergiss es, denke ich. Das hier ist nicht Afrika, wobei ich glaube, dass ein Gamedrive in den meisten Nationalparks Afrikas günstiger ist!

Da warte ich doch lieber auf den Kanterbus. Der kommt dann auch und für 800 Rupien kriege ich den letzten Platz. Das ist ein offener Bus mit 22 Sitzplätzen. Ich bin inmitten Indischer Touristen, keine anderen Ausländer da. Die Parkaufseherin, die versucht hat mir zu helfen, ist für heute unsere Führerin und schon geht die holprige Fahrt los. Es ist angenehm kühl und man kann die frische Waldluft einatmen, ein herrliches Gefühl. Bei den ersten paar Mal als der Bus anhält sehen wir die üblichen Verdächtigen, die es in den meisten indischen Nationalparks gibt: Axishirsche, Affen und einige schöne Vögel. Aber natürlich sind die meisten Leute wegen der Tiger hier. Der Park soll einen Bestand von 133 haben. Die Chance einen von ihnen zu erblicken existiert, doch eine Menge Glück braucht es dazu auch. So gibt es Leute die hier Safaris an mehreren Tagen machen und keine gestreifte Wildkatze zu Gesicht bekommen. Ich meinerseits hoffe fest, dass es klappt, rechne aber nicht wirklich damit, da wir hier in einem grossen Bus mit vielen lauten Indern sind, unter anderem vier oder fünf Kinder. So versuche ich mich auf die Natur zu konzentrieren und ihre Schönheit zu geniessen.

Doch der Inder, der neben mir sitzt möchte ein Gespräch führen. Ich schätze, dass Arun Anfang 50 ist. Er sieht mir wie ein wohlhabender Bürger dieses Landes aus. Es geht um Jeepsafaris, Tigersichtungen und Urlaub in der Schweiz. Plötzlich wird es ruhig. Der Bus hält an und als ich aufstehe sehe ich, dass eine ganze Schar von Jeeps vor uns auf dem Weg steht und wartet. Alle blicken in Richtung des hohen, gelbbraunen Grases und der grünen Bäume dahinter, etwa 200m entfernt.

„Tiger!“

wird überall gemunkelt und immer wieder versuchen einige bedachte Inder ihre nicht so schweigsamen Landsleute zur Ruhe zu bringen. Ich gucke durch den Sucher meiner Kamera und für einen ganz kurzen Augenblick sehe ich einen Tiger. „Tiger.“, bestätige ich die Gerüchte. Ich erkläre wo ich ihn gesehen habe und alle sind ganz eifrig und wollen ihn auch sehen. Geduld braucht es jetzt.

Nach einigen Minuten bewegt sich ein Tiger aus dem Gras heraus, an den Bäumen entlang in Richtung des Flussbetts. Er ist deutlich zu sehen und ich knipse, was das Zeug hält. Diesmal entkommst du mir nicht, denke ich. Bei meiner letzten Tigerbegegnung war ich zwar um Welten näher dran – ca. 10m – doch es ging so schnell, dass ich kein Foto machen konnte. Diesmal habe ich eins! Und noch viele mehr. Wow, denke ich, es hat geklappt. Unglaublich. Doch es kommt noch besser: hinter dem Tiger kommt noch ein Zweiter auf demselben Weg! Und dann noch ein Dritter! Diese sind kleiner, es handelt sich um noch nicht ausgewachsene Tiere. Die Aufseherin erklärt, dass es sich um einen weiblichen Tiger namens Maya und ihre zwei Kleinen handelt. Unglaublich. Drei Tiger in freier Wildbahn, Wahnsinn, freue ich mich.

Und es wird immer besser. Die Tiger bewegen sich nun über die offene Steppe in unsere Richtung. Wir, die Menschen im Kanterbus, haben jetzt die beste und uneingeschränkte Sicht auf sie. Herrlich.  Ich knipse was das Zeug hält. Nicht alle sind fasziniert von den Tigern: eines der Kinder hat weint und hat scheinbar unglaubliche Angst, dass die Tiger es fressen werden. Die Tiger kommen immer näher und die zwei Jungen erforschen das Flussbett. Nach einer halben Stunde ist der ganze Zauber vorbei und der Bus fährt an den vielen Jeeps, die jetzt aus dem Weg müssen, vorbei. Ich kann es nicht fassen, dass ich auf der ersten Safari in diesem Park gleich drei Tiger gesehen habe und das vom Bus aus, den ich zu früh verurteilt hatte.

Die Rückfahrt ist unspektakulär bis auf einen kleinen Imbiss, der uns offeriert wird und die Witzeleien zwischen der Aufseherin und mir. Sie kennt meinen Namen nicht und deshalb hat sie beim letzten Mal als wir uns im Bus hinsetzen sollten gesagt:

„Foreigner, down!“

also Ausländer, runter! Die nächsten paar Mal hab ich das dann jeweils lauthals zu ihr geschrien, was zur Belustigung der Indischen Gäste beitrug.

Noch ein kleines PS:

während meiner paar Nächte im MTDC Resort hat regelmässig ein Gast mein Bad besucht. Allerdings immer klammheimlich. Doch seine Anwesenheit fiel mir auf, da er immer wieder Spuren hinterliess. Zum Beispiel fehlten meine feuchten Toilettentücher eines Tages, die ich auf dem Spülkasten deponiert hatte. Und immer wieder waren die Abflussabdeckungen irgendwo im Badezimmer verteilt, nur nicht auf den Abflüssen. Richtig klar wurde mir dann, dass ich definitiv einen Gast habe, als ich eines Morgens meine Shampooflasche auf dem Boden fand. Sie war leer. Doch nicht etwa weil der Deckel offen war. Das Shampoo war durch Löcher ausgelaufen, die mein Gast in den Plastik hineingebissen hatte! Da war mir klar: ich bin nicht allein! 😉 Eines Nachts hab ich dann den Gast endlich kennengelernt, als ich Geräusche aus dem Badezimmer vernahm. Ich mache die Tür auf und erblicke eine fette, grosse Ratte die auf dem Spülkasten des WCs sitzt. Sie springt wild umher und ich mache sofort wieder die Tür zu. Nach einigen Sekunden ist sie wieder im Abfluss verschwunden. Ich mache den Abflussdeckel zu und stelle einen Wassereimer darauf. Dasselbe mache ich mit dem zweiten Abfluss. Seit dann hab ich den Gast nicht wieder gesehen 😉

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